Deleuze, la traduction infidèle oder so

In der deutschen Version von Deleuze „Postscriptum über die Kontrollgesellschaft“ heißt es, dass elektronische Viren und Computer-Hacker eine aktive Gefahr für die Informationsmaschinen der Kontrollgesellschaft darstellen. Dass mich diese Stelle reizt, dürfte klar sein, aber da ich eher faul bin, habe ich es bisher nicht allzu genau genommen, stets auch die französische Version zu lesen. Als ich kürzlich anfing, einen englischsprachigen Beitrag für eine Deleuze-Tagung zu planen, der sich auf diese Stelle beziehen sollte, war ich entsetzt, in der englischen Fassung von „computer piracy“ zu lesen. War ich also der Faulheit in die Falle gegangen und einer schlechten Übersetzung aufgesessen?

Ein Blick in den französischen Originaltext schien das zu bestätigen: Dort nennt Deleuze „le piratage“, die Piraterie. Ist die deutsche Übersetzung also einfach nur schlecht und war ich zu naiv? Vermutlich nicht: Die Franzosen nennen Computer-Hacker unter anderem auch „les pirates informatique“. Beide Übersetzungen sind also nicht abwegig, gleichwohl spricht Deleuze von der aktiven Gefahr der Sabotage, als er weniger Zeilen über der problematischen Stelle aktive Gefahren für die energetischen Maschinen der Disziplinargesellschaften diskutiert. Weiters nennt er die Störung als eine passive Gefahr für die Informationsmaschinen der Kontrollgesellschaft. Während computer piracy also durch die Copyright-Diskussion der letzten Jahre eher an den so genannten Diebstahl geistigen Eigentums denken lässt, bezog sich Deleuze an dieser Stelle also offenbar auf eine Variante der Sabotage und nicht auf das bloße Kopieren. Alles andere würde auch keinen Sinn ergeben, wenn man bedenkt, dass es Deleuze im Postskriptum an dieser Stelle offenbar um Phänomene des Widerstands geht. Die Übersetzung mit Computer-Hacker erscheint mir also genauer, wenn auch weniger wörtlich.

Die Stelle offenbart aber auch die Ambivalenz und Komplexität der Hacker-Diskurse in den drei Ländern: Wo es ständig um negative Fremd- und positive Selbstzuschreibungen geht, müssen Wörter so problematisch werden, dass man mit ihnen fabelhaft Politik machen—nur wird meine Arbeit dadurch auch nicht gerade leichter… 😉

Über Kai Denker

Kai Denker studierte Philosophie, Geschichte und Informatik an der TU Darmstadt. Seitdem sitzt er an einer Promotion in Philosophie mit einem Projekt zu dem Problem der Mathematisierbarkeit von Sprache bei Gilles Deleuze. Er ist Verbundkoordinator des BMBF-geförderten Forschungsvorhabens "Meme, Ideen, Strategien rechtsextremistischer Internetkommunikation (MISRIK)".
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