Das Scheitern der Piraten, eine funktionsfähige Partei zu formen, ruft derzeit viele Analysen hervor, die mal mehr, mal weniger wirr versuchen, eine plausible Theorie der Funktionsweise von Parteien zu formen. Ich habe davon ein paar gelesen, aber bei weitem nicht alle. Sie sind einfach zu langweilig, denn sie stimmen alle in einem Punkt überein: Sie stellen die Machtfrage nicht oder sie stellen sie – noch schlimmer! – falsch:
Das Problem der Piraten war und ist, komplett unfähig zur Anerkennung expliziter Machtformen zu sein. Macht ist bekanntlich irgendwie böse, muss eingekreist, kontrolliert, bekämpft und nach Kräften vermieden werden. Hat man diese so abstrakte wie unterkomplexe Machtkritik aber ideologisch verinnerlicht, ist man nicht nur nicht mehr zur Anerkennung von Mehrheitsentscheidungen in der Lage, die stattdessen als „Unterwanderung“ erscheinen müssen, sondern behauptet auch in geradezu katholischer Realitätsverleugnung, dass implizite Machtstrukturen keine Rolle spielen und spielen dürfen.
Nun, implizite Machtstrukturen gibt es immer, gab es immer, wird es immer geben. Sie entstehen permanent von selbst, schreiben sich keinem Individuum zu und besitzen stets ihre eigenen Dynamiken und Eigengesetzlichkeiten. Sie reichen von einem selbstreferentiellen Ansehen, was die Nerd-Szene in geradezu lächerlicher Verkennung der eigentlichen Begriffsbedeutung gerne „Meritokratie“ nennt und für die Abwesenheit von Macht hält, bis hin zu gewaltförmigen Kommunikationsstrukturen und Redeweisen. Gerade die grotesk aufgeladene Abwehr genderinklusiver Sprachpraktiken ist nicht ein Zeichen eines ubiquitären Maskulinismus (auch wenn es solchen zweifelsohne gibt), sondern eine Abwehr, die sich der eigenen ideologischen Neutralität versichert. „Postideologisch“ bedeutet bekanntlich nur, die eigene gesellschaftliche Position nicht nur nicht verstanden zu haben, sondern auch auf Teufel-komm-raus nicht reflektieren zu wollen. Dass man sich damit impliziten Machtformen ausliefert, liegt zwar auf der Hand, darf aber im Namen der eigenen anarchistischen Ideologie nicht anerkannt werden. Dass sich dies nun auch in der Analyse des Scheiterns verbietet, liegt auf der Hand: Lieber soll die Partei untergehen, als dass man die eigene Position hinterfragen müsste. Die Macht selbst interessiert sich freilich für solche Kindereien nicht und verfolgt ihre eigenen Bewegungen, die sich nicht selten in einer wirren und immer schnelleren Modulation von Empörung entladen. Es braucht dann nur eine eher langweilige, wenngleich nicht sonderlich hilfreiche Aktion wie #bombergate, um die aufgeladene Empörungsmaschine in Bewegung zu setzen. Die psychische Entladung, die hier nackte Frauenbrüste ausgelöst hatten, hätte nicht wenige psychoanalytische Fallstudien inspirieren können.
Die Geschichte der Macht ist die Geschichte der Versuche, sie zu zähmen. Die wenigen Fälle, in denen diese Versuche geglückt sind, schreiben die Geschichte der Explikation von Macht, nicht ihrer Umhüllung. Die Organe des Rechtsstaates sind keine Umhüllung (Sublimierung) von Macht, sondern ihre Explikation, d.h. Aktualisierung in transparenten Strukturen. Sie beseitigen oder ersetzen Macht nicht, sondern materialisieren Macht, um ihre Eigengesetzlichkeiten disponibel zu machen. Sie macht aus der Macht als indisponibler Natur menschlicher Kommunikations- und Handlungsvollzüge eine disponible Machttechnik. τέχνη bedeutet auch „Kunstfertigkeit“. Die anarchistische Piratenideologie – am meisten in ihrer neoliberalen Spielart, aber durchaus auch in ihrer linken Spielart – wollte das nicht sehen und hat sich damit den Eigengesetzlichkeiten impliziter Macht ausgeliefert. Um zum Abschied eine nautische Metapher zu bedienen: Wer nicht akzeptieren mag, dass die Schifffahrt längst zu einer Ingenieurskunst geworden ist, möge sich bitte nicht wundern, der Willkür der Gezeiten ausgeliefert zu sein und in ihnen abzusaufen.
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