Gestern wurde ich zu einem Stammtisch gottloser Gesellen geschleppt.
Eigentlich fühlt man sich unter seinesgleichen ja wohl, aber ich bin dann doch immer wieder enttäuscht, wenn sich herausstellt, dass die anderen auf dem Weg zum Atheismus auf halbem Weg stehen geblieben sind: Es ist das eine, einen singulären, ewigen, personalen Grund allen Seins zu betreiten, aber es ist ärmlich, eine singuläre, ewige, formale Theorie an dessen Stelle zu setzen.
Sicher, wenn man die personale Gottheit und die Bedeutung Jahrtausende alter Wüstenethiken für die heutige Gesellschaft bestreitet, begeht man keine Eselei. Man begeht auch keine solche, wenn man sich stattdessen auf Pragmatismus beruft. Das ist zwar voraussetzungsreich, tut aber philosophisch nicht so weh. Es ist dagegen aber nur schwer erträglich, wenn die Setzung von Logik als ewig wahre, transzendentale Quelle aller Vernunft und allen Wissens unkritisch, ja geradezu dogmatisch akzeptiert wird.
Ich meine nicht, Logik als erfolgreiches Tool in der wissenschaftlichen Arbeit einzusetzen oder in Diskussionen auf Schlussfiguren zu achten. Das ist schlimmstenfalls pragmatisch und funktioniert.
Was mich stört ist dieses: So zu tun, als Stecke die Logik hinter allem, ist schlicht lächerlich. Spricht mein Gegenüber nun von den logischen Axiomen der Wahrnehmung, kann ich meinen Spott nur noch mit Mühe zurückhalten. Gelingt es mir nicht und frage, was denn bitte die Axiome der Wahrnehmung seien, höre ich regelmäßig einen Bullshit über Spiegelneuronen, Evolutionspsychologie etc. — wohlgemerkt: Ich habe nicht nach einer Begründung dieser Axiome der Wahrnehmung gefragt, sondern einfach nur danach, welche es sind. Die Antwort blieb man mir auch diesmal schuldig. Der Hinweis, dass die Logik die Explikation aller Voraussetzungen verlangt und man nicht später Voraussetzungen dazu erfinden darf, will man nicht in einen pragmatischen Logikbegriff fallen, mit dem ich kein Problem hätte, wurde übrigens ebenso ignoriert, wie der Vorwurf, man könne die Rechtfertigung einer Menge von Axiomen der Wahrnehmung nicht aus der Wahrnehmung oder aus hieraus abgeleiteten Theorien gewinnen, ohne zum Pragmatiker zu werden. Der Glaube an die grundlegenden, ewigen Axiome (der Wahrnehmung und der Sprache — sind die eigentlich konsistent?) wurde beschworen.
Damit war es aber noch nicht genug. Nachdem klar wurde, dass man sich als Atheist lächerlich macht, wenn man sagt, dass die logischen Axiome „halt gesetzt“ wurden, wurde hilfsweise pragmatischer abgestellt, dass die Menschen sich halt auf die Axiome geeinigt hätten. (Klar: Die Axiome der Logik sind ewig und transzendental, aber gleichzeitig Verhandlungsmasse.) Nun, wenn die Logik, wie die Voraussetzung es forderte, hinter allem steckt und, was auch explizit behauptet wurde, auch die Bedingung der Möglichkeit aller (rationalen) Verständigung ist, ist es dann nicht völlig rätselhaft, wie man sich ohne die Logik, also ohne die Möglichkeit rationaler Verständigung, auf die Logik rational einigen konnte? Dabei ist doch längst klar, dass das Ei vor der Henne da war — nur dass es eben nicht von einer anderen Henne gelegt wurde. 😉
Die Sehnsucht nach einer ewigen Logik, die hinter allem steckt, ist nichts anderes als der Rest eines Gottesglaubens. Sicher, man hat den Alten vertrieben und kann nun endlich ehebrechen, aber insgeheim wünscht man sich doch noch, in einem logischen Kosmos aufgehoben zu sein, in dem alles einen Platz hat, allerdings nicht in den Händen einer Gottheit, sondern im Raum der Gründe. So gesehen ist jeder Buddhist ein ehrlicherer Atheist als die Ex-Christen, die sich noch immer nach dem einen Grund für allen sehnen. Will man Gott töten, darf man nicht nur praktisch, sondern muss auch theoretisch die Guillotine aufziehen.
Ein Axiom ist eine (angeblich) gültige Wahrheit, die keines Beweises bedarf.
Es wird von der Priesterkaste behauptet, es gäbe einen Gott, und der braucht nicht bewiesen zu werden! Das ist das eigentliche Problem. Wenn ein Atheist sagt, es gibt keinen Gott, sagt der Gläubige, beweise, daß es ihn nicht gibt. Daß die (Neu)-Atheisten immer wieder ins Schlingern kommen, liegt daran, daß sie ihren in ihrer Kindheit eingetrichterten Glauben nie wirklich losgeworden sind, weil sie im „Hinterstübchen“, es könnte den Alten vielleicht doch geben? obwohl sie, rational gedacht sehr wohl wissen, daß der alte Vatergott auf einem Mythos beruht. Aber die Indoktrination in ihrer Kindheit hat gewirkt! Weshalb es so schwierig ist, den alten Gottglauben wirklich loszuwerden. Und das wissen auch die Priester! Denn viele Atheisten kehren auf dem Sterbebett liegend zum Glauben zurück. Die Angst vor der Hölle ist eben doch mächtig.
Richtig. Auf dem Sterbebett nach dem Pfaffen zu brüllen, kann das schönste Atheistenleben ruinieren. Um das zu verhindern, sollte man durch gründliches und kritisches Nachdenken so viel von der Gottesvergiftung aus sich herausreißen wie möglich – und dazu gehört dann nunmal auch der Glaube an die Ewigkeit der Logik.
Sehr guter Artikel, danke. Als Agnostiker finde ich nichts nerviger als Pseudo-„Atheisten“, die nicht verstehen wollen, dass sie ihren alten Gott nur durch einen neuen ersetzt haben.
Gefestigte, „echte“ Atheisten sind dagegen weit angenehmere Gesprächspartner und legen auch seltener religiös anmutende Missionierungstendenzen an den Tag.
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Joah, was ich aber auch recht grauenhaft finde, sind Christen, die Agnostiker und gemäßigte Atheisten unter einen Satz wie „Auch Augustinus hatte Zweifel!“ einfangen wollen. Ich kann tatsächlich nicht sicher sein, ob eine Gottheit, aber deswegen kann ich Religion jeder Coleur trotzdem für Bullshit halten. Aus diesem Grund bin ich auch ein radikaler Atheist mit Missionierungseifer — aus politischen, nicht philosophischen Gründen eben. 🙂
Ich bin Naturwissenschaftler und Agnostiker, gebe mich aber gegenüber Christen vorsichtshalber als Atheist aus um möglichst wenig Missionierungseifer über mich ergehen lassen zu müssen. Zu dem Text habe ich zwei Fragen, mit denen ich mich sicher als philosophischer Naivling oute.
Versteht man philosophisch unter „Axiome der Wahrnehmung“, dass ohne (sinnliche) Wahrnehmung auch kein wie auch immer gearteter sinnvoller Gedanke möglich ist? Dem würde ich zustimmen und keinen Zusammenhang mit einem Gott sehen.
Wenn ich logische Zusammenhänge in diesem Universum feststelle, die – soweit bisher beobachtet – allgemein gelten und darüber zu Recht staune, bin ich doch noch lange kein Theist. Oder? Meinem Empfinden nach bin ich das doch erst, wenn ich nun – zusätzlich – eine Welt der Ideen oder Gesetze hinter der beobachteten Welt postuliere und dieser geistigen Extrawelt Ewigkeitscharakter verleihe.
Ich bin übrigens frei von Missionierungseifer – aus politischen, nicht wissenschaftlichen Gründen. Religionsfreiheit hat etwas – auch wenn es nur zu einem (sarkastisch formulierten) „Gleichgewicht des Schreckens“ führen sollte 😉