Die letzten Tage hatte ich den Eindruck, dass die Einschläge näher kommen: Schon seit Jahren breitet sich die analytische Philosophie auch auf dem alten Kontinent aus und trägt auch hier ihre Selbsternennung zu einzigen wissenschaftlichen Philosophie mit einer Attitüde vor sich her, die man bisher nur aus den theologischen Seminaren kannte. Hier, im beschaulichen Darmstadt, haben wir die analytische Philosophie bisher wohl eher mit einem skeptischen Interesse wahrgenommen. Mit Interesse, da die Autoren dieser Traditionslinie durchaus gelesen werden, aber zugleich mit Skepsis, da kaum jemand bereit war, die genannte Attitüde unkritisch zu übernehmen.
Meine heile Welt wurde aber in den letzten Tagen gleich zweimal erschüttert: Erst beschimpfte[!] mich ein Wittgenstein-Fan auf Facebook, da ich ein seiner Ansicht nach „philosophisches“ (also für einen Wittgensteinianer letztlich: unsinniges, metaphysisches) Argument gebracht hätte. Ironischerweise wählte er als Vorwurf, ich sei ein Postmodernist. Tatsächlich tue ich mich schwer, mir so ein Label anzukleben, da ich Wittgenstein ebenso lese wie Deleuze und in beiden Fällen versuche, die jeweiligen Argumente ernst zu nehmen. Aber selbst wenn: Mein Argument, an das ich mich – ehrlich gesagt – nicht mehr erinnere, war gewiss nicht postmodern, auch wenn es sicher die Grenzen eher orthodoxer analytischer Lesarten strapaziert haben mag. Das Resultat, das hier von Interesse ist, ist aber eher, dass die Kommunikation über die scheinbaren Schulgrenzen hinweg scheiterte.
Für die zweite Erschütterung muss ich ein klein wenig weiter ausholen: Vor zwei, vielleicht drei Jahren besuchte mich ein junger Bursche, der sich gerade anschicken wollte, ein Studium aufzunehmen, um mit mir über meine „ungewöhnliche“ Kombination aus Philosophie und Informatik zu sprechen. Er war voll von Fragen und ich war voll von – natürlich hochsubjektiven! – Antworten. Natürlich lag und liegt es mir fern, anderer Leute Pläne zu determinieren, aber ich war schon etwas enttäuscht, als ich gestern erfuhr, dass er sich für die analytische Philosophie in Kombination mit Informatik entschieden hatte. Ich hatte hier immer den Eindruck, man pause die formalen Grundlagen der Informatik bloß auf die Philosophie durch und nehme allenfalls kosmetische Erweiterungen vor. Ohne die Voraussetzungen der analytischen Philosophie lassen sich meiner Ansicht nach zahlreiche Aspekte der Informatik analysieren, die durch vorschnelle Formalisierung verstellt werden.
Diese zweite Erschütterung beklagte ich nun – erneut – auf Facebook, wo ich gefragt wurde, was das Problem sei. Ich antwortete, dass die analytische Philosophie ja wohl die „dogmatischste Scheiße“ sei, „die man sich vorstellen kann“. Jeder/m dürfte klar sein, dass Facebook schwerlich ein brauchbares Medium für eine philosophische Diskussion ist. (Tatsächlich ist nicht einmal ein persönliches Gespräch ein solches. Am besten diskutiert es sich in der Philosophie mittels Büchern und Aufsätzen – aber nicht, weil wir immer so viele Worte bräuchten, sondern eher, weil die hohe Geschwindigkeit uns nicht gut tut. Leider ist es tatsächlich sogar so, dass die analytische Philosophie mit hohen Argumentationsgeschwindigkeiten besser umgehen kann. Die Konzepte der kontinentalen Philosophie sind zu komplex, zu verwickelt und zu heterogen.)
Die Antwort auf meinen polemischen Einwurf ist natürlich naheliegend: Ohne weiteres ist dieser selbst äußerst dogmatisch, pauschal und unphilosophisch. Zum Glück habe ich aber einen Teil einer längeren Antwort schon ausgearbeitet und veröffentlicht: In meinem Buch über Wittgenstein und Frege habe ich versucht, ein Licht auf einen Dogmatismus eines Linie in der analytischen Philosophie zu werfen. Es scheint, dass die analytische Philosophie es bisher nicht verstanden hat, das Verhältnis von Logik, dem Ereignis in der Zeit und der Sprache überhaupt zu klären, ohne in einen Dogmatismus zu fallen.