Lieber Fefe,
ich wundere mich sehr über Deinen Aufruf, nicht (mehr) mit Wissenschaftlern zu reden. Ich selbst forsche seit Jahren zu „Internet-Subkulturen“ und versuche, die bisherige Forschung in diesem Bereich aus ihrer soziologischen Blindheit und ihrer medienwissenschaftlichen Anekdotenhaftigkeit herauszuholen. Ein Ergebnis dieser Forschung war, dass Aktionen wie der Btx-Hack auch in der CDU schon den 1980er Jahren Denkprozesse ausgelöst hat, die wir eigentlich nur begrüßen können: Damals hatte sogar die CDU sich im RechtsA des BTages dafür eingesetzt, den §202a StGB zu entschärfen. (Dass es anders kam, hat verwickelte Gründe, die eigentlich nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprachen.) Ich habe dazu auf dem 28c3 einen Vortrag gehalten. Ursprünglich wollte ich weitergehen und hätte gerne mehr zu den Dynamiken zwischen der Gründungszeit des CCC und dem Staat gemacht. Eine Idee dabei war ganz grob, die „Missverständnisse“ auf beiden Seiten zu kartieren. Leider war es unmöglich, trotz mehrmaliger Versuche, mit dem „inneren Zirkel“ des CCC ins Gespräch zu kommen, sodass sich auch meine Doktorarbeit nun etwas verschoben hat und der CCC nur noch am Rande vorkommt. Insofern bin ich schon sehr verärgert, dass Du einen Aufruf schreibst, sich nicht mehr mit Wissenschaftlern zu unterhalten. Ich kenne einige Doktoranden, die ihre Forschungsfragen gegen verknöcherte Profs verteidigen müssen und jetzt wohl auch noch mehr Probleme bekommen werden, an Archive oder Interview-Partner zu kommen.
Du wirst einwenden, dass auch der Staat oder die *-Mafia sich dieser Methoden bedient, um mehr über die Szene zu erfahren und dass Forschung, wie ich sie betreibe, diesen Leuten auch noch in die Hände spielt. Ich halte das aber für zu kurz gedacht:
(1) Die allermeisten Forschungsprojekte zur „Netzkultur im aller weitesten Sinne“ werden von jungen Nachwuchsforschern auf befristeten Stellen betrieben, die in beschissenen, d.h. prekären Situationen irgendwie überleben müssen und Wissenschaft mit viel Idealismus betreiben. Ich selbst verwerte mein Informatik-Diplom nicht wirtschaftlich, weil mich meine Forschung wirklich interessiert. Meine empirische Arbeit ist abgeschlossen und ich bin von Deinem Aufruf nicht mehr betroffen, aber dennoch finde ich ihn überaus ungerecht gegenüber meinen Fachkollegen, die jetzt gegen Mauern rennen werden und bei der Entscheidung über Stellenverlängerungen Ergebnisse vorweisen müssen.
(2) Wissenschaft ist immer ambivalent. Forschungen an Krankheitserregern kann Biowaffen möglich machen und neue Behandlungsmethoden hervorbringen. Kryptologie versucht auch an Universitäten, Verfahren zu brechen und CTF-Contests beherbern die Unis nicht aus gutem Willen: Mein Krypto-Prof sagte in der VL mal, dass man das auch mache, um mit den Geheimdiensten mithalten zu können, denn wenn seine Gruppe ein Verfahren brechen kann, dann ist die Annahme plausibel, dass es auch die Dienste können. Es ist ebenso plausibel, dass die *-Mafia oder der Staat notfalls aufs subtilere Formen der Ausforschung zurückgreifen wird. Mit dem passenden Aluhut kann man sich hier eine Menge ausdenken. Bei der Erhebung von empirischem Material schließt ein „redet nicht mit Wissenschaftlern!“ also nur die richtigen Wissenschaftler aus, aber nicht das Böse selbst. Ein zweiter Punkt steckt darin: So wie ITSec/Krypto auch uns dient, unsere Schutzfähigkeiten zu verbessern, kann eine gute Forschung uns helfen, unsere eigenen Mechanismen besser zu verstehen und uns vielleicht sogar zu immunisieren. Beispielsweise ermöglicht es die Forschung zu Kommunikationsmechanismen bei den Piraten nicht nur den anderen Parteien, die Piraten öffentlich vorzuführen, sondern auch den Piraten über die eigenen Trigger zu reflektieren. Was nutzt es den Piraten, wenn die CDU weiß, wie man einen Shitstorm unter Piraten-Landesverbänden auslösen kann, die Piraten aber selbst unreflektiert ausgeliefert sind? So wie es uns nutzt, Sicherheitslücken zu kennen, die auch von anderen gefunden und ausgenutzt werden können, kann die „Selbstaufklärung“ über uns helfen, verschiedenen Überwachungs- und Kontrollmechanismen beim social engineering oder bei fieseren PsyOps-Sachen nicht mehr auf den Leim zu gehen. Wie z.B. die Beteiligung an Verfahren beim BVerfG den CCC verändert (und das passiert), ist nicht sonderlich gut verstanden und die meisten Chaoten finden das einfach gut, fürchte ich. Sozialforschung kann hier zu einer differenzierteren Sicht beitragen – dazu muss sie aber gut gemacht sein und das geht nur, wenn man mit den Leuten redet.
(3) Forschung findet statt, auch öffentliche, auch mit schlechten Quellen. Es ist in den Sozialwissenschaften, aber auch den Geschichtswissenschaften akzeptiert, dass man mit den Quellen arbeitet, die man eben hat. In meinem Paper zum Btx-Hack hatte ich seitens des CCC z.B. nur, was eh schon öffentlich zugänglich war. Wenn es sich dabei um ein Zerrbild handelt, dann habe ich dieses Zerrbild fortgeschrieben. Redet man nicht mit Wissenschaftlern (oder belügt sie sogar), dann bekommt man schlechte Forschung und am Ende vermutlich ein Zerrbild, dass Hacker als Kleinkriminelle darstellt etc. – z.B. haben die Arbeiten von Gabriella Coleman zu Anonymous gezeigt, wie stark eine rechtsstaatlich-demokratische Ideologie bei Anonymous verbreitet ist und wie sie sich immer wieder gegen die bloßen Trolle behaupten kann. Ohne ihre Arbeiten würden wir vermutlich Anonymous noch immer bloß als „the Internet hate machine“ begreifen. Ich war letztes Jahr bei Coleman in Montréal und sie erzählte, wie sie zu Expertenbefragungen bei US-Diensten geladen wird und dort dann erstmal erklären muss, dass Anonymous gerade keine Terrororganisation ist. Ohne Coleman hätte das FBI Daten von Sabu bekommen. Großartig.
Ich hoffe, ich konnte Deine sehr pauschale Verurteilung von Studien zu Hackern und Piraten etwas in Frage stellen. Falls nicht, würde ich mich freuen, wenn Du mir ein Argument schreiben würdest. Falls doch, würde ich mich wirklich freuen, wenn Du Deinen Blogpost relativieren würdest: Es gibt diese Arschloch-„Forscher“, aber Leute wie ich wollen einfach nur unseren Job machen.
Liebe Grüße,
Kai