Nachdem ich mich an keiner Diskussion mit Fefe zu diesem Thema mehr beteiligen werde, da er nach Godwin’s Law sowieso verloren hat und auch seine Aluhut-Entourage sich nicht gerade als kultivierte Diskussionsteilnehmer vorstellen, scheint es dennoch nötig zu sein, zu klären, ob es nicht vielleicht einen Unterschied zwischen Forschung und Ausforschung gibt. Aber tatsächlich ist diese Frage trivial und jeder kann sie sich leicht selbst beantworten. Stattdessen lohnt es sich vielleicht eher, das Problem aus der Perspektive der Ethik und Praxis der Gesellschaftswissenschaften anzugehen:
- Niemand wird zur Teilnahme an einem Interview gezwungen. Im Gegensatz zur Ausforschung durch Detektive, V-Leute und Geheimdienste stellt ein Sozialforscher dem potentiellen Interviewpartner die Teilnahme frei. Dies betrifft auch einzelne Fragen: Niemand muss, sobald er einmal zugestimmt hat, alle Fragen beantworten und sollte, sofern er es nicht ohnehin irgendeinem Fremden anvertrauen würde, es besser auch nicht tun. Fefes Don’t-talk-to-Scientists betrifft also nur ethisch arbeitende Wissenschaftler, die sich als solche zu erkennen geben. Natürlich kann jemand lügen und sich als Wissenschaftler ausgeben, wo er eigentlich „ausforschen“ will.* Ebenso kann man bestechen, schmeicheln oder überreden – social engineering eben. Allein: Die Fachethik verbietet es und so gewonnene Ergebnisse werden von den seriösen Fachzeitschriften nicht veröffentlicht werden.
- Der Interviewpartner wird vorab über Art, Umfang und Zweck der Forschung informiert. Natürlich kann jemand an dieser Stelle lügen.*
- Der seriöse Sozialforscher ist bereit Fragen über seine Forschung zu beantworten. Dies betrifft insbesondere Finanzierung und Auftraggeber. Natürlich kann man lügen und sich eine hübsche Coverstory zurecht legen.*
- Es wird Anonymität gewährleistet. In soziologischen und ethnologischen Studien wird die Anonymität der Interview-Partner gewährleistet. Dies betrifft nicht nur Namen, sondern alle Hinweise, die möglicherweise die Identität eines Interview-Partners aufdecken könnten. In einer solchen Studie würde man dann eher lesen, dass K. ein „regelmäßiger Besucher eines Hackerspaces in Süddeutschland“ ist, aber nicht dass F. ein „guter Freund eines männlichen CCC-Sprechers“ ist. Natürlich kann jemand lügen und Informationen hintenrum an Dienste weitergeben.*
- Fefe ist nicht interessant. Sozialforscher interessieren sich nicht für das Einzelschicksal irgendeines singulären Hackers, sondern – verkürzt gesagt – für Entwicklungsdynamiken. Es ist nicht einmal wirklich interessant, wie z.B. der CCC heute aufgebaut ist, ohne die Frage zu stellen, wie es zu dieser Strukturbildung gekommen ist. Wer glaubt, dass Sozialforscher Studien über einzelne Hacker erstellen wollen, glaubt auch daran, dass Guido Knopp eine methodisch innovative Geschichtsforschung betreibt: Die Zeit von Heldengeschichten oder statischen Strukturen ist in der Sozialforschung lange vorbei. Heute stellt man Fragen wie sich wiederholende Praktiken beispielsweise in Bezug auf die Räumlichkeit von Hackerspaces entwickeln. Die Frage nach den Aushandlungsprozessen, die die Reinigung der Küche eines [mittelgroßen Hackerspaces in Süddeutschland] regeln sollen, sind für Sozialforscher viel spannender als die üblichen Horrorszenarien paranoischer Aluhüte. Ebenso interessieren sich Sozialforscher auch nicht dafür, wer auf Twitter wem folgt, sondern wie sich dort Kommunikationsdynamiken über Tausende von Tweets entwickeln. Wenn Fefe also glaubt, dass „wir“ uns für ihn persönlich interessieren, dann nimmt er sich einfach viel zu wichtig. Natürlich kann man nebenbei heimlich weitere Daten sammeln…*
- Es gilt das Archivrecht. Historiker arbeiten nicht mit Interviews, sondern in Archiven, also mit gesammelten Überrests- und Traditionsquellen, die einen gewissen zeitlichen Abstand zur Gegenwart haben. Das Bundesarchivgesetz, das den Zugang zu den Archiven des Bundes regelt, legt fest, dass Archivgut erst nach 30 Jahren der Forschung zugänglich gemacht werden darf. Bezieht sich das Archivgut auf natürliche Personen, darf es erst 30 Jahre nach deren Tod beziehungsweise 110 Jahre nach deren Geburt, sofern das Todesdatum nicht ermittelt werden kann, der Forschung verfügbar gemacht werden. Eine Ausnahme bildet hierbei z.B. des Archiv des deutschen Bundestages, in dem das Archivgut der vorvorletzten Legislaturperiode zugänglich gemacht wird, wobei auch hier Archivgut, das natürliche Personen betrifft, weiterhin gesperrt bleibt. Es wird also gegenwärtig das Archivgut vom Anfang der 1980er zugänglich – und wann ist der CCC gegründet worden? Siehse! – Natürlich kann man als böser Geheimdienstmitarbeiter von großzügigen Ausnahmeregelungen Gebrauch machen und auf alles lange vor den Historikern zugreifen.
* Ich habe in dieser (durchaus unvollständigen) Liste einige Sätze markiert. Überlegt Euch bitte mal, was hieran ausschließlich Sozialforscher betrifft und ob nicht auch der Nerd next door Informationen weitergeben könnte. Genausowenig wie man Wissenschaftlern mehr trauen sollte als allen anderen, sollte man Nicht-Wissenschaftlern mehr trauen als Wissenschaftlern. Wenn Fefe also ein Don’t-talk-to-Scientists ausruft, dann muss daraus – sofern es nicht zwar erlaubte, aber dennoch ziemlich irrationale Willkür sein soll – ein Don’t-talk-to-anyone folgen. Nochmal: Es ist erlaubt, sich einen Aluhut aufzusetzen und niemandem zu trauen und wer heikle Dinge tut, tut auch sicher gut daran, überaus vorsichtig zu sein. Dies aber pauschal zu verallgemeinern, ist schlicht verstrahlte Paranoia.
Ich glaube ja eher, dass Fefe und auch sein Stichwortgeber in dieser Sache einfach keine Ahnung haben, was die Gesellschaftswissenschaftler wirklich tun und wofür sie sich wirklich interessieren. Irgendein Berliner CCC-Klüngel gehört jedenfalls nicht dazu.