In einer Folge von Star Trek Voyager beklagt sich Cpt. Janeway, dass ihr temporale Paradoxa Kopfschmerzen bereiten würden. Man muss nicht mit den Borg zu tun haben oder negativ geladene Chronotonen emitieren, um mittels Zeittheorie ordentlich Kopfschmerzen zu erzeugen. Ich arbeite ja zur Zeit zum französischen Philosophen Gilles Deleuze, der eine radikale Theorie der Zeit in seinen Büchern entwickelt. Es geht dabei weniger um eine physikalische Zeit, sondern um eine phänomenologische Zeit, also darum wie die Zeit uns erscheint.
Tatsächlich ist Zeit für die Philosophie ziemlich verzwickt und es ist erstaunlich schwierig, phänomenologische Zeit angemessen zu beschreiben. Auch Deleuze schafft es nicht, eine einfache Theorie vorzulegen und seine Vorschläge sind, zumindest aus der Sicht der Logik, von Widersprüchen durchzogen. Die Widersprüche lösen sich aber auf, wenn man sich klar macht, dass eine logische Sichtweise gewissermaßen versucht, die Zeit gleichzeitig von außen und innen zu beschreiben: Es sind Individuen, die innerhalb der Zeit einen Blick auf die Zeit von außen einnehmen wollen. Was in der Physik noch modellierbar ist, wird unmöglich, wenn man sich mit den innerhalb der Zeit ablaufenden Erkenntnisvermögen und dem Gedächtnis auseinandersetzen muss.
Zunächst stellt Deleuze fest, dass wir uns die Gegenwart nicht als etwas punktförmiges vorstellen, was unendlich kurz ist und damit eigentlich gar nicht so richtig existiert, sondern in der phänomenologischen Zeit ist die Gegenwart etwas ausgedehntes: Sie reicht von der Vergangenheit zur Zukunft, ist also eigentlich eine Dauer, die vorübergeht. Die Vorstellung von vorübergehenden Zeitpunkten, ist demgegenüber eigentlich sekundär.
Spannend wird es nun mit der Vergangenheit. Die Frage ist, wie aus der Gegenwart eigentlich die Vergangenheit wird und wie uns diese Vergangenheit zur Verfügung steht. Wenn wir nämlich an ein Ereignis denken, das vergangen ist, dann beziehen wir uns nicht auf das wirkliche und ja auch irgendwie vergangene Ereignis, sondern bestenfalls auf Spuren oder Erinnerungen davon. Es handelt sich also nicht um das Ereignis selbst, sondern um etwas anderes, das irgendwie mit dem ursprünglichen Ereignis in Verbindung steht. Dieses ist Vergangen, aber unsere Erinnerung ist ja Gegenwärtig. Wir haben es also mit einer Vergangenheit zu tun, die nie Gegenwart war. Deleuze nennt diese reine Vergangenheit. Diese war nie Gegenwart, sondern ist immer schon vergangen, weil wir uns nur an sie erinnern können.
Dann muss diese reine Vergangenheit aber in der Gegenwart bestand haben, damit wir uns in der Gegenwart auf ein Ereignis in ihr beziehen können. Sie ist also interessanterweise mit der Gegenwart gleichzeitig. Während aber die Gegenwart aktuell ist, ist die reine Vergangenheit virtuell. Deleuze löst also das Problem des Übergangs von der Gegenwart zur Vergangenheit, indem er beiden einen unterschiedlichen Seinsmodus zuweist. Die Gegenwart ist material-aktuell und die reine Vergangenheit ist das, was gewissermaßen hinter der Gegenwart steht, aber auch in diesem Moment ist (unsere Erinnerungen sind uns ja in dem Moment, in dem wir uns erinnern, gegenwärtig).
Mit dem Vergehen der Gegenwart verschwindet diese aber nicht direkt in der virtuellen Vergangenheit, sondern die reine Vergangenheit verändert sich als virtuelle quasi selbst.
Vermutlich haben die meisten Leser/innen, die es bis hierhin geschafft haben, spätestens jetzt Kopfschmerzen – und auch wenn diese Theorie ziemlich schräg klingen mag, kann man mit ihr doch einige Probleme in der Philosophie besser in den Griff kriegen, gerade dann, wenn man Zeit nicht mehr als schönes homogenes, vor sich hin fließendes Ding beschreiben möchte, sondern ihre ganze Heterogenität darstellen will. Aber das ist eine andere Geschichte. Dass Zeit nicht so einfach ist, hat übrigens schon der Doktor gewusst:
Hallo Herr Denker, vielen Dank für den Eintrag und die Gedanken dazu. Ist im Werk von Augustinus – einem der Kirchenväter – in seinen „Confessiones“ nicht genau das bereits vorgedacht worden.
Dort ist Vergangenheit etwas, an das wir uns erinnern. DIe Zukunft sind lediglich Erwartungen und nicht mehr. Alles ist im jetzt und passiert gleichzeitig, wir sind lediglich mit den anderen Zeiten durch Erwartung und Erinnerung verbunden. Wo ist dann das „Neue“ oder die geistige Leistung von Deleuze?