Ich bin gerade auf einer Summerschool zur Visualisierung des Raums. Eigentlich hat das recht wenig mit meiner gegenwärtigen Arbeit zu tun, aber da man die Teilnahme von mir erwartete und außerdem die Kosten übernommen wurden, verbringe ich diese Woche nun doch in einer evangelischen Begegnungsstätte in Rheinland-Pfalz. Hier hat man mich gleich mit protestantischer Kochkunst und Zimmerbibeln verwöhnt, aber das nur nebenbei.
Wir haben jetzt so ungefähr die Hälfte dieser interdisziplinären Summerschool hinter uns und ich frage mich immer mehr, was ich hier soll. Mit einer Kollegin hatte ich gestern in einem Beitrag versucht, die Repräsentationskritik bei Deleuze/Guattari mit einem starken Raumbezug aufzubereiten und schließlich auf ein Beispiel technisch konstituierter Räume zu beziehen. Die anschließende Diskussion hing dann weitgehend an unserem technischen Beispiel fest und war, wie ich finde, ziemlich enttäuschend. Es gab nur recht wenige Wortmeldungen, die allesamt nicht auf unseren theoretischen Unterbau eingingen. Zwar haben uns später noch Leute angesprochen und unseren Beitrag als „erfrischend“ und „inspirierend“ bezeichnet, aber dass wir brillant sind, wussten wir vorher ja eigentlich auch schon… 😉
Um die Visualisierung von Raum geht es auf dieser Summerschool selbst aber kaum: Etwa 70% der Beiträge beschäftigen sich mit der Frage, wie Daten visualisiert werden können und einige auch damit, wie so eine Visualisierung auf unsere Lernprozesse zurückwirkt. Das mag für sich genommen ja durchaus interessant sein, hat aber nun nicht so sonderlich viel mit dem Raum zu tun – witzigerweise ein Vorwurf, der andersherum unserem Beitrag gemacht wurde: Man fragte uns, wo denn bei uns bitte die Visualisierung stecke. Gut – dass Repräsentation nicht so eng mit Visualisierung zusammenhängt (gleichwohl auch nicht getrennt ist), ist ja nun richtig, aber was soll ich als sprachanalytisch denkender Philosoph auch groß zur Visualisierung sagen? Da hätte man eher einen Phänomenologen fragen sollen. Allerdings haben die bisherigen Vorträge, soviel sie auch zur Visualisierung gesagt haben, recht wenig theoretisch substantielles zum Raum gesagt.
Das Problem der geschickten Visualisierung von Daten ist zwar nun durchaus ein komplexes und für viele Forschungsfragen sicher auch interessantes Thema, doch zeigt das Verschwinden des Raums als eigentlich Untersuchungsgegenstand im weiteren Sinne eine Schwierigkeit dieser ganzen Summerschool: Der Raumbegriff bleibt gänzlich unbestimmt. Zwar sind sich alle irgendwie einig, dass wir einen relationalen Raumbegriff haben wollen, der einer bestimmten Mode folgend „topologisch“ heißt, aber damit hat es sich auch wieder. Das ist überhaupt ein Problem dieser ganzen Raumdiskussionen, sobald sie sich in einem interdisziplinären Umfeld bewegen: Aus dem topologischen Minimalkonsens folgt wenig konkretes und spannende Kooperationen ergeben sich allenfalls für einzelne Themen mit wenigen, nahe beieinander stehenden Fächern. Der Versuch, die Raumforschung immer gleich zur großen Interdisziplinarität aufzublasen, überzeugt dagegen immer weniger. Vollends schwierig wird es, wenn so ein groß-interdisziplinär unterbestimmter Raumbegriff auf etwas dagegen deutlich konkreteres wie Visualisierung bezogen werden soll. Fast alles, was es innerhalb der einzelnen Fächer zu sagen gibt, konzentriert sich auf Visualisierung eines eigenen, fachspezifischen Raumkonzepts – Das ist keine Kritik! – verliert aber aufgrund des ebenso unterbestimmten Visualisierungsbegriffs jede groß-interdisziplinäre Anschlussfähigkeit (Das ist die Kritik.).
Der naheliegende Vorschlag lautet, sich auf einen Begriff der Visualisierung zu einigen. Nun, was ist denn das allgemeinste, was man sieht? Um das Ende der Debatte gleich vorweg zu nehmen: Letztlich landet man wieder beim Text oder bei etwas, was einem Text in bestimmter Hinsicht gänzlich ähnelt. Man denke nur einmal an die Begriffsschrift Freges, die auch nicht ausdrucksmächtiger war als die Notation Peanos. Dann aber zwischen einer abstrakten Topologie, die letztlich nur eine strukturierte Menge ist, einem relationalen Raum, also einem Raum von Relationen zwischen Dingen, oder einer Visualisierung, etwa Tinte auf einem Stück Papier, zu unterscheiden, wirkt beinahe künstlich, beinahe wie eine Verlegenheitslösung. Und das finde ich, obwohl mich das Visualisierungsproblem so gar nicht interessiert, dennoch etwas unfair gegenüber der Visualisierung.
Also machen wir es kurz: Man hat zwar von mir erwartet, dass ich hier mitfahre, aber ich gehöre hier fachlich einfach nicht hin. Manchmal bringen Stipendien eben komische Konstellationen mit sich…
hach, der raum. der nächste turn kommt bestimmt 😉 was für ein stipendium hast du eigentlich, wenn ich fragen darf?
Vielleicht handelte es sich auch um unterschiedliche Erwartungshaltungen zwischen Theorie und Praxis? Als ich Deinen Beitrag las, fragte ich mich, was ein Praktiker wie ich einen Top-Philosophen, der in allen Teilgebieten der Philosophie besitzt, fragen würde, wenn ich ihn für kurze Zeit im beruflichen Kontext anheuern könnte. Zu meinem Erschrecken fallen mir keine Fragen ein. Entweder ich bin zu dumm oder die Philosophie gibt mir keine Antworten auf keine Fragen.