Ich beklagte mich über die etwas nervige Auseinandersetzung mit dem Seinsbegriff (und dessen Univozität) bei Duns Scotus. @Sokalist_n fragte, wieso dieser Begriff überhaupt wichtig sei, was sich damit machen ließe und woher wir etwas darüber wüssten.
Ich glaube, mir ist eine halbwegs klare Antwort gelungen:
Natürlich wissen wir nichts über das Wesen des Seins in einem strengen Sinne (=wahre begründete Meinung). Der Begriff ist vielmehr relevant für eine Modellierungsstrategie, die die Ontologie betrifft, soweit sie für eine metaphysische Theoriebildung überhaupt noch relevant sein kann. Es gilt hierbei lediglich den Weltbezug in einer Art „Rest-Ontologie“ zu sichern: Wenn wir einen Weltbezug behaupten, dann müssen wir wenigstens die Form der existierenden Relata in der Welt hinreichend bestimmen. Wir können nicht behaupten, dass es außerhalb unseres Geistes irgendetwas gibt, ohne dass wir bereits damit behaupten, dass wir uns irgendwie darauf beziehen können. Solche Restbestände von Ontologie finden sich z.B. auch bei Kant, wenn er vom „Ding an sich“ spricht. Bei Deleuze, zu dem ich arbeite, spielt die „Differenz an sich selbst“ die Rolle des „Dings an sich“.
Deleuze macht also, kurz gesagt, die „Differenz an sich selbst“ zu einem Grundbegriff in seiner Modellierungsstrategie und bringt damit traditionelle Vorstellungen solcher „Rest-Ontologien“ durcheinander. Spricht man traditionell eher von Diesheiten und Einheiten, ersetzt Deleuze dieses durch Andersheiten und Vielheiten. Traditionell sind also „ens“, „idem“ und „unum“ konvertibel, bei Deleuze aber „ens“, „diversum“ und „multum“. Traditionell ist das „multum“ z.B. die Privation des „unum“: Vieles ist, was nicht eines ist. Deleuze will das „unum“ durch innerzeitliche Synthesen aus dem „multum“ gewinnen. Es ist eine Philosophie der Mannigfaltigkeit. Ebenso verhält es sich beim „idem“: Aus „Dieses ist, was nicht das andere ist“ wird ein „Dieses ist das andere“. Es ist eine Differenzphilosophie, die ohne den Satz von der Identität zu denken ist. Auch die Identität muss mit innerzeitlichen Vollzügen wiederhergestellt werden.
Ich bearbeite nun den Seinsbegriff (und dessen Univozität) bei Duns Scotus, da sich Deleuze selbst auf diesen bezieht, dessen Überlegungen aber wie gezeigt erheblich umarbeitet. Ziel ist es, sehr genau zu verstehen, wieso auch Deleuze das Sein univok nennt, aber dann trotzdem zu einer Philosophie der Differenz und der Mannigfaltigkeit gelangt. Für Deleuze ist es natürlich mit einiger Mühe verbunden, die Entscheidung, Identität und Negation (Kennzeichen einer klassischen Dialektik aus seiner Sicht) zurückzuweisen und zu einer radikalen Prozessontologie zu gelangen. Wenn man so vorgehen möchte, muss man ein Modell liefern und dazu bedarf es eines genauen Verständnisses der Modellierungsstrategien. Klar soweit?