Um uns herum die Zukunft: Soziale Netze, Datensammler, Suchmaschinen, digitale Sprachverarbeitung, Bilderkennung, Vorratsdatenspeicherung. Das verängstigte Individuum wirft sich den Datenschützern an den Rock. Nur eine kleine, verwirrte Spackeria spricht es offen aus: Der Datenschutz ist tot!
Ist er das wirklich? Ja. Aber anders als die Spackeria behauptet.
Deren Texte kreisen beständig um negative Aussagen: Der Aufwand, private Daten zurückzuhalten, sei unverhältnismäßig hoch, erklärte Julia Schramm heute Spiegel Online. Datenschutzinteressen durch die Union hinreichend verschreckter Bürger erklärt die Spackeria in ihrem Blog mit einem eigentlich der Hackkultur vorbehaltenen Wort: „paranoid“. Dem entgegen steht der letztlich nicht weniger negative Begriff der „Transparenz“ (ebd), der Abwesenheit von allem blickversperrendem:
Doch muss das wesentlich als Chance begriffen werden, einen wirklich transparenten Staat zu schaffen. Dass dies auch die Transparenz der Akteure bedeutet ist ein Schritt, den viele noch nicht geistig gegangen sind. Und für die politischen Akteure heißt dies, ihr Handeln und die möglichen Konsequenzen radikaler zu Ende zu denken. Doch wer im öffentlichen Raum politisch agieren will, darf nicht anonym sein, darf nicht Teile seiner Identität löschen oder löschen lassen, sondern muss vielmehr mit dem Getanen leben lernen. Anonymität und politische Verantwortung schließen einander aus. Vergebung ist hierbei wohl das entscheidene.
In diesem Zitat findet sich in geradezu idealtypischer Weise die Grundlage des Spackerismus: „Chance“, „radikaler zu Ende […] denken“, „leben lernen“, „Verantwortung“ und schließlich „Vergebung“. Der ganze Spackerismus atmet eine Fortschritts- und Fundamentalitätslogik, die sich gegen das Vergessen in Form der Schaffung einer Vergangenheit als Vergangenheit wendet und schließlich, da zeitlogisch Zukunft, „Ende“ und digitale Ewigkeit verkreuzt werden, in den christlichen Begriff der Vergebung gipfelt. Sicher ist eine Theorie, die sich zu ihrer Rettung christlicher und pseudolebensphilosophischer Vokabeln bedient, entlarvt, doch liegen die Dinge nicht ganz so einfach.
Zur Konstruktion des Arguments bedient sich die Spackeria eines übersteigerten und ins Positive gewendeten Panoptismus, der seiner disziplinierenden Funktion gerade durch die Allgemeinheit der Transparenz beraubt ist. War der von Foucault vorgestellte (und bis zum Erbrechen in Netzdebatten wiederholte) Panoptismus Bentham’scher Prägung noch geprägt von einem Gefälle zwischen intransparentem Beobachter und dadurch umso transparenteren Subjekt, verliert der spackereske Beobachter ob seiner totalen Transparenz jeden Sonderstatus. Basierte die Disziplinierung dort auf der potentiell jederzeit stattfindenden Beobachtung, verschwindet sie hier in der aktual jederzeit und nun stets gegenseitig stattfindenden Beobachtung. Sieht man für einen Moment von der völlig fehlenden Differenzierung zwischen Beobachtung in Sinne von Anglotzen, Beobachtung im Sinne von Verstehen und schließlich Beobachtet-haben im Sinne von gewusst werden ab, die zweifellos eine eigene Betrachtung verdient und zahlreiche weitere Aporien spackeresken Denkens sichtbar und transparent machen wird, übersieht die Spackeria die Konsequenzen der unbegrenzten Kapilarisierung panoptistischer Mechanismen – ob nun symmetrisch und aktual jederzeitig oder nicht.
Foucault und im Anschluss daran Deleuze zur Kontrollgesellschaft beschrieben die Implikationen einer beliebig feinen Verteilung der Beobachtung und deren Umschlag in eine Selbsttechnik. Insofern ist es bizarr, wenn die spackereske Theoriebildung Anleihen bei Simmel nehmend die Privatsphäre, Öffentlichkeit und Gesellschaft in verschobenes Ganzes setzt und die „Identität“ mit einem Abstand daneben stellt. Wer Christian Heller auf mancher Tagung des CCC zuhört, hat ohnehin das Gefühl, die subjektivierungstheoretische Debatte der letzten fünfzig Jahre hätte nicht stattgefunden. (Tatsächlich stammt der erwähnte Simmel-Text von 1908.) Zugegeben: Ein Konzept wie „Vergebung“ oder ein mit Getanem „leben lernen“ vermag vielleicht die Disziplinierung aufzuheben, doch haben diese Konzepte, wie wir alle wissen, in den letzten 2000 Jahren grandios funktioniert.
Aber selbst wenn man sich die recht überraschende These, dass es es jetzt endlich einmal funktionieren müsse, zu eigen machte, übersieht die Spackeria völlig, dass nunmehr vollständig öffentliches, vollständig transparentes Wissen aller über alle auch gewusst werden muss, um als Wissen gelten zu können. Für Wissen ist eben nicht Wahrheit und Begründetheit ausreichend, sondern sie muss auf von einer Wissensträgerin als Meinung gehabt werden, um Wissen zu sein. Dass ob der schieren Menge an Daten einer vollständigen Transparenz stets nur ein (vermutlich kleiner) Teil gewusst werden kann, liegt auf der Hand. Ebenso gehört es aber zum Gemeinplatz der digitalen Gegenwart, dass mittels Computertechnik Daten verarbeitet werden können und müssen, bevor sie in einer kondensiertes, gefilterten, ausgewählten und zweckmäßig zugerichteten Form Wissen werden können. Auch hier erfolgt eine spackereske Selbstentlarvung:
Natürlich gibt es aus unserer heutigen Perspektive die angebliche Problematik der Zusammenführung von Informationen (Data Mining) und auch die Bewertung (Scoring) dieser, um neue Erkenntnisse in die bunte Welt der Werbebranche und Kreditinstitute zu bringen, doch welchen gesellschaftlichen Mehrwert haben diese Daten wenn sie zwar vor der einen Personengruppe geschützt, der Anderen aber durch Verkauf – wenn auch in anonymisierten Form – zugeführt werden?
(Hervorhebung von mir.)
Angesichts computerlinguistischer Methoden und ihrer staatlich geförderten Erforschung zum Zwecke der Überwachung (INDECT), nimmt es sich einigermaßen seltsam aus, von einer angeblichen Problematik zu sprechen und diese auch noch auf die Zusammenführung von Informationen zu verenden. (Dass Data Mining als Mechanismus des Information Retrieval eine ganz eigene Problematik besitzt, ist zwar richtig, soll hier jedoch übergangen werden.) Aber auch hier nimmt die Spackeria einen Ausweg und bringt den ominösen gesellschaftlichen Mehrwert in Anschlag – ein Begriff, dem sie in ihren Texten nicht gerecht wird. Aber selbst wenn man dies akzeptierte, wäre die Problematik, dass Wissen nur als gewusstes Wissen auch Wissen ist, noch immer uneingelöst. Oder um es modisch-plakativ zu sagen: Was nutzt es mir, der Gesellschaft oder wem-auch-immer, wenn Googles, Facebooks oder Friedrichs Daten offen zugänglich sind? Muss ich nicht immer noch die Algorithmen kennen, mit denen ich diese Daten sinnvoll verwenden kann? Und selbst wenn ich dieses Expertenwissen habe, muss ich dann nicht noch über die Rechenzeit und den Speicherplatz verfügen, der nötig ist, um die Algorithmen sinnvoll ablaufen zu lassen? Ist es nicht vielmehr so, dass all diese Daten ein gewaltiges Rauschen darstellen, solange ich nicht schon über diese, in unserer Gesellschaft so exklusive Wissens- und Computerressourcen verfüge?
Und selbst wenn all dies kein Problem wäre, stellte sich doch die Frage, ob die völlige Kenntnis aller Daten, aller Algorithmen und aller Möglichkeiten nicht doch nur die Machtinfrastruktur der Kontrollgesellschaft verdoppelte, indem ich nicht mehr von außen beobachtet und diszipliniert werden, sondern ich mich selbst auf diese Algorithmen hin optimiere, um einen möglichst großen Teil einer relevanten Ressource – sei es Geld, sei es Glückseligkeit – zu erreichen? Muss man nicht schon gehörig einen an der protestantischen Klatsche haben, um zu glauben, dass die völlige Offenheit befreit und das allumfassende System der Algorithmen schließlich dem vergibt, der rechten Glaubens an die Weisheit der Algorithmik ist? – Man verzeihe mir diese Redeweise, aber einer gewissen Komik entbehrt die Angelegenheit ja nicht.
Der kurzen Fassung des spakeresken Credos, der Datenschutz sei tot, ist zuzustimmen. Das Grundrecht, das vor 30 Jahren erfunden wurde, passt nicht mehr in eine Zeit, deren bestimmende Infrastruktur informationstechnisch geworden ist. Der Spackeria mag zu verdanken sein, dass sie die Diskussion befördert, doch das eigene Heil mittels religiösen Vokabulars und unter völliger Ignoranz zeitgenössischer philosophischer Diskussionen im Ende des Datenschutzes und in der totalen Offenheit aller gegenüber allen zu suchen, geht am Kern des Problems vorbei.
Gefällt mir:
Gefällt mir Wird geladen …