Wie der Datenschutz einmal homophob war…

Zwar sieht die Spackeria, wie ich gestern ausführte, einiges richtig und einiges falsch, doch fehlt mir heute einfach die Zeit, die mittlerweile zahlreichen interessanten Diskussionsbeiträge zu sichten und angemessen zu reagieren. Es gibt da aber eine Sache, die mich gerade nervt:

Auf Twitter muss gerade die Emanzipationsbewegung der Lesben und Schwulen als Argument für beide Seiten herhalten: Einmal ist es der Datenschutz, der es Lesben und Schwulen erlaubt, sich vor Repressionsmaßnahmen zu verstecken – einmal ist es die völlige, geradezu spackereske Offenheit, die zur Befreiung von Lesben und Schwulen geführt habe. Haben sich diese doch in den 1970er Jahren raus aus den Klappen, rein in die Straßen öffentlich zu erkennen gegeben und doch gerade so die gesellschaftliche Liberalisierung ausgelöst.

Beide Positionen sind falsch:

  1. Die Pro-Datenschutz-Position übersieht, dass sich der Datenschutz hier mit der Repression verbündet: Indem die Offenheit mit Strafe bedroht ist, internalisieren die Lesben und Schwulen gerade die Geheimhaltung, die sie als versteckt lebende Perverse in den dunklen Ecken lässt. Gerade weil die Offenheit so gefährlich ist, leben die Lesben und Schwulen im Iran und anderen Ländern so versteckt, dass deren Diktatoren diese umso besser marginalisieren oder gleich ganz verleugnen können.
  2. Die Spackeria-Position übersieht, dass ihr Argument durch eine große Zahl historischer Fakten offenkundig wiederlegt ist. Dazu benötigt man keinen unqualifizierten Antisemitismusvergleich. Schon die Tatsache, dass Frauen als Hälfte der Gesellschaft ziemlich deutlich optisch von Männern unterschieden werden können und dieser Unterschied durch Kleidungsvorschriften und Rituale noch verstärkt wird, zeigt doch, dass die völlige Offenheit über den Parameter „Geschlecht“ nicht notwendig zu einer Emanzipation führt. Bestenfalls und schon das ist eine grobe Vereinfachung ist die Offenheit eine notwendige Bedingung.

Gerade das Beispiel der Frauenbewegung zeigt doch die wahnsinnige Komplexität derartiger Prozesse. Dies gilt nicht weniger für die Lesben- und Schwulenbewegung, die ohne die Frauenbewegung, ohne die Medikalisierung im 19. Jahrhundert, ohne die Verschiebung von Psychologie auf Biologie nicht denkbar gewesen wäre. Und ebenso zeigt das Beispiel der Suffragetten, dass zur Offenheit die Offensive treten muss, um eine gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen. Dass damit eine Subjektkonstitution eigenen Typs einhergeht, hat Foucault gezeigt. Aber auch gestern sagte ich ja schon, dass man den Eindruck hätte, die Subjekttheoriedebatten der letzten 50. Jahre hätten einfach nicht stattgefunden.

Ja, wir haben ein Problem. Ja, der Datenschutz funktioniert so nicht mehr. Ja, wir müssen darüber diskutieren. Aber bitte nicht so. Es nervt.

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Was die Spackeria (nicht) versteht

Um uns herum die Zukunft: Soziale Netze, Datensammler, Suchmaschinen, digitale Sprachverarbeitung, Bilderkennung, Vorratsdatenspeicherung. Das verängstigte Individuum wirft sich den Datenschützern an den Rock. Nur eine kleine, verwirrte Spackeria spricht es offen aus: Der Datenschutz ist tot!

Ist er das wirklich? Ja. Aber anders als die Spackeria behauptet.

Deren Texte kreisen beständig um negative Aussagen: Der Aufwand, private Daten zurückzuhalten, sei unverhältnismäßig hoch, erklärte Julia Schramm heute Spiegel Online. Datenschutzinteressen durch die Union hinreichend verschreckter Bürger erklärt die Spackeria in ihrem Blog mit einem eigentlich der Hackkultur vorbehaltenen Wort: „paranoid“. Dem entgegen steht der letztlich nicht weniger negative Begriff der „Transparenz“ (ebd), der Abwesenheit von allem blickversperrendem:

Doch muss das wesentlich als Chance begriffen werden, einen wirklich transparenten Staat zu schaffen. Dass dies auch die Transparenz der Akteure bedeutet ist ein Schritt, den viele noch nicht geistig gegangen sind. Und für die politischen Akteure heißt dies, ihr Handeln und die möglichen Konsequenzen radikaler zu Ende zu denken. Doch wer im öffentlichen Raum politisch agieren will, darf nicht anonym sein, darf nicht Teile seiner Identität löschen oder löschen lassen, sondern muss vielmehr mit dem Getanen leben lernen. Anonymität und politische Verantwortung schließen einander aus. Vergebung ist hierbei wohl das entscheidene.

In diesem Zitat findet sich in geradezu idealtypischer Weise die Grundlage des Spackerismus: „Chance“, „radikaler zu Ende […] denken“, „leben lernen“, „Verantwortung“ und schließlich „Vergebung“. Der ganze Spackerismus atmet eine Fortschritts- und Fundamentalitätslogik, die sich gegen das Vergessen in Form der Schaffung einer Vergangenheit als Vergangenheit wendet und schließlich, da zeitlogisch Zukunft, „Ende“ und digitale Ewigkeit verkreuzt werden, in den christlichen Begriff der Vergebung gipfelt. Sicher ist eine Theorie, die sich zu ihrer Rettung christlicher und pseudolebensphilosophischer Vokabeln bedient, entlarvt, doch liegen die Dinge nicht ganz so einfach.

Zur Konstruktion des Arguments bedient sich die Spackeria eines übersteigerten und ins Positive gewendeten Panoptismus, der seiner disziplinierenden Funktion gerade durch die Allgemeinheit der Transparenz beraubt ist. War der von Foucault vorgestellte (und bis zum Erbrechen in Netzdebatten wiederholte) Panoptismus Bentham’scher Prägung noch geprägt von einem Gefälle zwischen intransparentem Beobachter und dadurch umso transparenteren Subjekt, verliert der spackereske Beobachter ob seiner totalen Transparenz jeden Sonderstatus. Basierte die Disziplinierung dort auf der potentiell jederzeit stattfindenden Beobachtung, verschwindet sie hier in der aktual jederzeit und nun stets gegenseitig stattfindenden Beobachtung. Sieht man für einen Moment von der völlig fehlenden Differenzierung zwischen Beobachtung in Sinne von Anglotzen, Beobachtung im Sinne von Verstehen und schließlich Beobachtet-haben im Sinne von gewusst werden ab, die zweifellos eine eigene Betrachtung verdient und zahlreiche weitere Aporien spackeresken Denkens sichtbar und transparent machen wird, übersieht die Spackeria die Konsequenzen der unbegrenzten Kapilarisierung panoptistischer Mechanismen – ob nun symmetrisch und aktual jederzeitig oder nicht.

Foucault und im Anschluss daran Deleuze zur Kontrollgesellschaft beschrieben die Implikationen einer beliebig feinen Verteilung der Beobachtung und deren Umschlag in eine Selbsttechnik. Insofern ist es bizarr, wenn die spackereske Theoriebildung Anleihen bei Simmel nehmend die Privatsphäre, Öffentlichkeit und Gesellschaft in verschobenes Ganzes setzt und die „Identität“ mit einem Abstand daneben stellt. Wer Christian Heller auf mancher Tagung des CCC zuhört, hat ohnehin das Gefühl, die subjektivierungstheoretische Debatte der letzten fünfzig Jahre hätte nicht stattgefunden. (Tatsächlich stammt der erwähnte Simmel-Text von 1908.) Zugegeben: Ein Konzept wie „Vergebung“ oder ein mit Getanem „leben lernen“ vermag vielleicht die Disziplinierung aufzuheben, doch haben diese Konzepte, wie wir alle wissen, in den letzten 2000 Jahren grandios funktioniert.

Aber selbst wenn man sich die recht überraschende These, dass es es jetzt endlich einmal funktionieren müsse, zu eigen machte, übersieht die Spackeria völlig, dass nunmehr vollständig öffentliches, vollständig transparentes Wissen aller über alle auch gewusst werden muss, um als Wissen gelten zu können. Für Wissen ist eben nicht Wahrheit und Begründetheit ausreichend, sondern sie muss auf von einer Wissensträgerin als Meinung gehabt werden, um Wissen zu sein. Dass ob der schieren Menge an Daten einer vollständigen Transparenz stets nur ein (vermutlich kleiner) Teil gewusst werden kann, liegt auf der Hand. Ebenso gehört es aber zum Gemeinplatz der digitalen Gegenwart, dass mittels Computertechnik Daten verarbeitet werden können und müssen, bevor sie in einer kondensiertes, gefilterten, ausgewählten und zweckmäßig zugerichteten Form Wissen werden können. Auch hier erfolgt eine spackereske Selbstentlarvung:

Natürlich gibt es aus unserer heutigen Perspektive die angebliche Problematik der Zusammenführung von Informationen (Data Mining) und auch die Bewertung (Scoring) dieser, um neue Erkenntnisse in die bunte Welt der Werbebranche und Kreditinstitute zu bringen, doch welchen gesellschaftlichen Mehrwert haben diese Daten wenn sie zwar vor der einen Personengruppe geschützt, der Anderen aber durch Verkauf – wenn auch in anonymisierten Form – zugeführt werden?

(Hervorhebung von mir.)

Angesichts computerlinguistischer Methoden und ihrer staatlich geförderten Erforschung zum Zwecke der Überwachung (INDECT), nimmt es sich einigermaßen seltsam aus, von einer angeblichen Problematik zu sprechen und diese auch noch auf die Zusammenführung von Informationen zu verenden. (Dass Data Mining als Mechanismus des Information Retrieval eine ganz eigene Problematik besitzt, ist zwar richtig, soll hier jedoch übergangen werden.) Aber auch hier nimmt die Spackeria einen Ausweg und bringt den ominösen gesellschaftlichen Mehrwert in Anschlag – ein Begriff, dem sie in ihren Texten nicht gerecht wird. Aber selbst wenn man dies akzeptierte, wäre die Problematik, dass Wissen nur als gewusstes Wissen auch Wissen ist, noch immer uneingelöst. Oder um es modisch-plakativ zu sagen: Was nutzt es mir, der Gesellschaft oder wem-auch-immer, wenn Googles, Facebooks oder Friedrichs Daten offen zugänglich sind? Muss ich nicht immer noch die Algorithmen kennen, mit denen ich diese Daten sinnvoll verwenden kann? Und selbst wenn ich dieses Expertenwissen habe, muss ich dann nicht noch über die Rechenzeit und den Speicherplatz verfügen, der nötig ist, um die Algorithmen sinnvoll ablaufen zu lassen? Ist es nicht vielmehr so, dass all diese Daten ein gewaltiges Rauschen darstellen, solange ich nicht schon über diese, in unserer Gesellschaft so exklusive Wissens- und Computerressourcen verfüge?

Und selbst wenn all dies kein Problem wäre, stellte sich doch die Frage, ob die völlige Kenntnis aller Daten, aller Algorithmen und aller Möglichkeiten nicht doch nur die Machtinfrastruktur der Kontrollgesellschaft verdoppelte, indem ich nicht mehr von außen beobachtet und diszipliniert werden, sondern ich mich selbst auf diese Algorithmen hin optimiere, um einen möglichst großen Teil einer relevanten Ressource – sei es Geld, sei es Glückseligkeit – zu erreichen? Muss man nicht schon gehörig einen an der protestantischen Klatsche haben, um zu glauben, dass die völlige Offenheit befreit und das allumfassende System der Algorithmen schließlich dem vergibt, der rechten Glaubens an die Weisheit der Algorithmik ist? – Man verzeihe mir diese Redeweise, aber einer gewissen Komik entbehrt die Angelegenheit ja nicht.

Der kurzen Fassung des spakeresken Credos, der Datenschutz sei tot, ist zuzustimmen. Das Grundrecht, das vor 30 Jahren erfunden wurde, passt nicht mehr in eine Zeit, deren bestimmende Infrastruktur informationstechnisch geworden ist. Der Spackeria mag zu verdanken sein, dass sie die Diskussion befördert, doch das eigene Heil mittels religiösen Vokabulars und unter völliger Ignoranz zeitgenössischer philosophischer Diskussionen im Ende des Datenschutzes und in der totalen Offenheit aller gegenüber allen zu suchen, geht am Kern des Problems vorbei.

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Dada-Surrealismus

Ich war heute in der Surrealismus-Ausstellung in der Frankfurter Schirn (noch bis 29. Mai). Ich versuche ja seit Jahren, ein gewisses Verständnis für Kunst zu entwickeln und schleppe hierzu regelmäßig befreundete Kunsthistoriker mit, quasi als exklusive Privatführung. Meistens läuft es darauf hinaus, dass ich kein Wort mehr verstehe und mir der Unterschied von Kunsttradition A und Kunsttradition B als elfenbeintürmelnde Sophisterei erscheint.

Der Surrealismus versöhnte mich aber: Die Ausstellung bedient implizit Begriffe von Absolutheit, Rekognition und Konzeptualisierung, die mir ohnehin im Kopf herumgeistern. Einige Exponate ließen sich sehr schön als Versuch lesen, diese Begriffe zu unterlaufen. Dafür konnte meine kunsthistorisch geschulte Begleitung weniger mit der Ausstellung anfangen. Gut, Surrealismus langweilt wirklich schnell, aber dennoch waren die umgekehrten Vorzeichen einmal erfrischend.

Die Ausstellung lohnt sich übrigens, sofern man nicht erwartet, dass Kunst schön oder wenigstens verständlich sein müsse – aber wer tut das schon… 😉

PS: Apropos Elfenbeinturm. Letzten Samstag war ich noch in der Elfenbein-Ausstellung im Liebieghaus (ebenfalls Frankfurt, noch bis 26. Juni 2011). Mir liegt diese barocke Süffigkeit ja einfach nicht. Die Darstellung des Marsyas-Mythos allerdings ist bezaubernd. Überaus filigran und wahnsinnig detailreich zieht Apollo dem Marsyas die Haut ab. Grandios!

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Blogreform

Anscheinend verlinken noch ein paar auf meine ganz alte Domain www.the-distraught-queen.de und ein paar mehr auf die weniger alte Adresse blog.denker.net – Da ich aber mein Blog und meine Homepage auf http://denker.net/ zusammengelegt habe, bitte ich doch alle Besucher, RSS-Leder und Follower ihre Links zu aktualisieren. 😉

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Satire und Dummheit

Gerade Diskussion im IRC, ob Respect and Obey Authority Fake ist oder nicht. Es wird echt immer schwieriger, Dummheit und Satire voneinander zu unterscheiden. Wenigstens bei den Angriffen auf unseren geliebten Karl-Theodor ist die Sache ja zum Glück noch eindeutig.

Worauf deutet das Verschwinden der Unterschiede zwischen Satire und Dummheit eigentlich mehr hin? Auf die Satire, die feinsinniger wird, oder auf die Dummheit, die dümmer wird? Hoffentlich das erste!

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Nerd-kompatibler Schmuck

Auf der Tagung übrigens noch gesehen und angeblich von Jonathan Johnson (Hamburg), dort aber der flashigen Website nach nicht (mehr) erhältlich:

Jetzt lohnen sich Nerd-Verlobungen noch mehr, was? 😉

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Böse, böse Hacker!

Ich bin gerade zurück von der Techno-Topologies. Spatial Perspectives – Spatial Practices-Tagung in Darmstadt, wo ich über Hacker in der Kontrollgesellschaft gesprochen habe. Gab eine gute Diskussion und ich glaube, es lohnt sich den Vortragstext (leicht überarbeitet) online zu stellen. Wir haben sehr schön herausarbeiten können, dass und wie Hacker die Kontrollgesellschaft fördern, indem sie sie bekämpfen (über den „Mäh! Ihr schließt ja nur Sicherheitslücken!“-Kram hinaus) und sich dabei zu Komplizen der Kontrolle machen.

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Der Traum vom roten Knopf

Zwischenzeitlich war ich hier aktiv und habe mir Gedanken über rote Knöpfe gemacht, mit dem man das Internet ausknipsen könnte.

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Deleuze, la traduction infidèle oder so

In der deutschen Version von Deleuze „Postscriptum über die Kontrollgesellschaft“ heißt es, dass elektronische Viren und Computer-Hacker eine aktive Gefahr für die Informationsmaschinen der Kontrollgesellschaft darstellen. Dass mich diese Stelle reizt, dürfte klar sein, aber da ich eher faul bin, habe ich es bisher nicht allzu genau genommen, stets auch die französische Version zu lesen. Als ich kürzlich anfing, einen englischsprachigen Beitrag für eine Deleuze-Tagung zu planen, der sich auf diese Stelle beziehen sollte, war ich entsetzt, in der englischen Fassung von „computer piracy“ zu lesen. War ich also der Faulheit in die Falle gegangen und einer schlechten Übersetzung aufgesessen?

Ein Blick in den französischen Originaltext schien das zu bestätigen: Dort nennt Deleuze „le piratage“, die Piraterie. Ist die deutsche Übersetzung also einfach nur schlecht und war ich zu naiv? Vermutlich nicht: Die Franzosen nennen Computer-Hacker unter anderem auch „les pirates informatique“. Beide Übersetzungen sind also nicht abwegig, gleichwohl spricht Deleuze von der aktiven Gefahr der Sabotage, als er weniger Zeilen über der problematischen Stelle aktive Gefahren für die energetischen Maschinen der Disziplinargesellschaften diskutiert. Weiters nennt er die Störung als eine passive Gefahr für die Informationsmaschinen der Kontrollgesellschaft. Während computer piracy also durch die Copyright-Diskussion der letzten Jahre eher an den so genannten Diebstahl geistigen Eigentums denken lässt, bezog sich Deleuze an dieser Stelle also offenbar auf eine Variante der Sabotage und nicht auf das bloße Kopieren. Alles andere würde auch keinen Sinn ergeben, wenn man bedenkt, dass es Deleuze im Postskriptum an dieser Stelle offenbar um Phänomene des Widerstands geht. Die Übersetzung mit Computer-Hacker erscheint mir also genauer, wenn auch weniger wörtlich.

Die Stelle offenbart aber auch die Ambivalenz und Komplexität der Hacker-Diskurse in den drei Ländern: Wo es ständig um negative Fremd- und positive Selbstzuschreibungen geht, müssen Wörter so problematisch werden, dass man mit ihnen fabelhaft Politik machen—nur wird meine Arbeit dadurch auch nicht gerade leichter… 😉

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Feine Atheisten

Gestern wurde ich zu einem Stammtisch gottloser Gesellen geschleppt.

Eigentlich fühlt man sich unter seinesgleichen ja wohl, aber ich bin dann doch immer wieder enttäuscht, wenn sich herausstellt, dass die anderen auf dem Weg zum Atheismus auf halbem Weg stehen geblieben sind: Es ist das eine, einen singulären, ewigen, personalen Grund allen Seins zu betreiten, aber es ist ärmlich, eine singuläre, ewige, formale Theorie an dessen Stelle zu setzen.

Sicher, wenn man die personale Gottheit und die Bedeutung Jahrtausende alter Wüstenethiken für die heutige Gesellschaft bestreitet, begeht man keine Eselei. Man begeht auch keine solche, wenn man sich stattdessen auf Pragmatismus beruft. Das ist zwar voraussetzungsreich, tut aber philosophisch nicht so weh. Es ist dagegen aber nur schwer erträglich, wenn die Setzung von Logik als ewig wahre, transzendentale Quelle aller Vernunft und allen Wissens unkritisch, ja geradezu dogmatisch akzeptiert wird.

Ich meine nicht, Logik als erfolgreiches Tool in der wissenschaftlichen Arbeit einzusetzen oder in Diskussionen auf Schlussfiguren zu achten. Das ist schlimmstenfalls pragmatisch und funktioniert.

Was mich stört ist dieses: So zu tun, als Stecke die Logik hinter allem, ist schlicht lächerlich. Spricht mein Gegenüber nun von den logischen Axiomen der Wahrnehmung, kann ich meinen Spott nur noch mit Mühe zurückhalten. Gelingt es mir nicht und frage, was denn bitte die Axiome der Wahrnehmung seien, höre ich regelmäßig einen Bullshit über Spiegelneuronen, Evolutionspsychologie etc. — wohlgemerkt: Ich habe nicht nach einer Begründung dieser Axiome der Wahrnehmung gefragt, sondern einfach nur danach, welche es sind. Die Antwort blieb man mir auch diesmal schuldig. Der Hinweis, dass die Logik die Explikation aller Voraussetzungen verlangt und man nicht später Voraussetzungen dazu erfinden darf, will man nicht in einen pragmatischen Logikbegriff fallen, mit dem ich kein Problem hätte, wurde übrigens ebenso ignoriert, wie der Vorwurf, man könne die Rechtfertigung einer Menge von Axiomen der Wahrnehmung nicht aus der Wahrnehmung oder aus hieraus abgeleiteten Theorien gewinnen, ohne zum Pragmatiker zu werden. Der Glaube an die grundlegenden, ewigen Axiome (der Wahrnehmung und der Sprache — sind die eigentlich konsistent?) wurde beschworen.

Damit war es aber noch nicht genug. Nachdem klar wurde, dass man sich als Atheist lächerlich macht, wenn man sagt, dass die logischen Axiome „halt gesetzt“ wurden, wurde hilfsweise pragmatischer abgestellt, dass die Menschen sich halt auf die Axiome geeinigt hätten. (Klar: Die Axiome der Logik sind ewig und transzendental, aber gleichzeitig Verhandlungsmasse.) Nun, wenn die Logik, wie die Voraussetzung es forderte, hinter allem steckt und, was auch explizit behauptet wurde, auch die Bedingung der Möglichkeit aller (rationalen) Verständigung ist, ist es dann nicht völlig rätselhaft, wie man sich ohne die Logik, also ohne die Möglichkeit rationaler Verständigung, auf die Logik rational einigen konnte? Dabei ist doch längst klar, dass das Ei vor der Henne da war — nur dass es eben nicht von einer anderen Henne gelegt wurde. 😉

Die Sehnsucht nach einer ewigen Logik, die hinter allem steckt, ist nichts anderes als der Rest eines Gottesglaubens. Sicher, man hat den Alten vertrieben und kann nun endlich ehebrechen, aber insgeheim wünscht man sich doch noch, in einem logischen Kosmos aufgehoben zu sein, in dem alles einen Platz hat, allerdings nicht in den Händen einer Gottheit, sondern im Raum der Gründe. So gesehen ist jeder Buddhist ein ehrlicherer Atheist als die Ex-Christen, die sich noch immer nach dem einen Grund für allen sehnen. Will man Gott töten, darf man nicht nur praktisch, sondern muss auch theoretisch die Guillotine aufziehen.

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