Salonsozialistische Solidaritäten

Letztes Wochenende fand die zweite Ausgabe unserer PreDoc-Tagung „Junge Philosophie“ in an der TU Darmstadt statt und war – wie sollte es anders sein – wieder außerordentlich erfolgreich.

Eine betrübliche Sache muss ich dennoch berichten: Ich hatte in diesem Blog ja schon mehrfach über Studierende an meinem Institut berichtet, die sich selbst für die besseren Menschen halten. Sie sind die einzigen, die noch wissen, was Solidarität bedeutet und dass starke Schultern mehr tragen müssen als schwache. Sie wissen wie wichtig noch immer die Frankfurter Schule ist und dass es nur mit ihr möglich ist, den gesamtgesellschaftlichen Verblendungszusammenhang aufzudecken und zu durchbrechen.

Hierzu bringen sie manchmal Anträge in den Fachbereichsrat (FBR) ein, über deren Qualität sich sogar die linke Professorenschaft wundert. So hatten wir in der letzten Sitzung über einen Antrag zu entscheiden, dessen Inhalt darin bestand, dass der FBR erklären solle, dass die Prüfungsordnung  (PO) einzuhalten sei. In der Diskussion kam dann allerdings heraus, dass die Antragssteller der Auffassung waren, sie könnten aus der PO, die verschiedene schriftliche Prüfungsformen kennt, das Recht ableiten, sich selbst für eine Prüfungsform zu entscheiden. Nun ist zwar die Forderung, dass Studenten in jeder Veranstaltung zwischen mindestens zwei schriftlichen Prüfungsformen wählen können sollten, richtig und wird auch von meiner Fraktion erhoben, aber über die sprachliche und inhaltliche Qualität des Antrags der anderen Fraktion mussten wir uns doch sehr wundern. Der Antrag wurde übrigens auch nicht zur Beschlussfassung angenommen: Man war sich einig, dass es absolut sinnlos sei, ihn in der vorliegenden Form zu beschließen.

Manchmal besetzen diese Studierenden aber auch das Schloss, sperren Mitarbeiter ein und hindern Studierende in der Prüfungsphase daran, die Bibliothek zu betreten. Ebenso wurde sie schon bei der Zerstörung von Plakaten der anderen Fraktionen oder auch der Jungen Philosophie erwischt. Eine beliebte Geschichte ist auch, als die linke Fraktion respektive deren Wortführerin im FBR die Haushaltsberatungen schweigend über sich ergehen ließ, sich bei der Abstimmung enthielt und nach der Beschlussfassung schließlich eine „grundsätzliche Diskussion darüber, dass sich der Fachbereich einer neoliberalen Verwertungslogik ausliefert,“ anfangen wollte. Der Dekan blockte den Versuch seinerzeit ab und verwies darauf, dass man doch gerade diskutiert und entschieden hätte. Die Wortführerin lief darauf rot an, bekam feuchte Augen und rief mit bebender Stimme aus: „Das werden Sie ja wohl nicht Diskussion nennen!“

Letztes Jahr bei der Organisation der ersten Runde unserer Nachwuchstagung waren diese Studierenden noch beteiligt: Wir diskutierten die Frage nach einem kleinen Tagungsbeitrag, da es uns nicht erlaubt ist, aus den Mitteln, die die Universität uns zur Verfügung stellt, Essen oder Kaffee zu kaufen. Erst wollten sie nicht einsehen, dass wir Haushaltsspielregeln nicht einfach außer Kraft setzen können, wenn uns danach ist: „Aber man muss sich doch nicht immer daran halten!“ Als sie damit bei uns nicht ankamen, traten sie eine Diskussion über Adorno und den vollständig verwalteten Menschen los: Einen Tagungsbeitrag zu verlangen, ist schließlich der erste Schritt zum Faschismus…

Dieses Jahr luden wir sie zwar wieder zur Mitarbeit ein, aber erhielten auf unsere E-Mails keine Antwort. Stattdessen wurde behauptet, ich hätte mir zur Durchführung der Tagung eine Stelle geschaffen. Nun hätte ich zwar gerne eine Stelle, aber dass für die Organisation einer Tagung eine richtige Stelle rausspringt, ist doch eher eine wunderliche Idee. Sie bezogen sich übrigens auf einen Antrag auf eine Hilfskraftstelle, der allerdings ausdrücklich nichts mit der Durchführung der Tagung zu tun hatte – die Hilfskraftstelle wurde bewilligt, dann aber auf mehrere Studierende aufgeteilt. Das war der Wortführerin bekannt, hielt sie aber nicht von ihrer Geschichte ab. Tatsächlich wurden die Gerüchte gegen das Projekt verstärkt: Angeblich seien wir neoliberal verseucht und täten all das nur für unseren Lebenslauf. Nun glaube ich nicht, dass man von Neoliberalismus sprechen kann, wenn man etwas ehrenamtlich tut, aber dass ich die Organisation der Tagung in meinen Lebenslauf geschrieben habe, bestreite ich gar nicht: Wieso auch nicht? Ginge es mir allerdings nur um Einträge im Lebenslauf, dann würde ich mir sicher etwas suchen, was weniger Arbeit macht. 😉

In der Feedbackrunde zur ersten Tagung 2009 wurde übrigens von den teilnehmenden Studierenden und PreDocs vorgeschlagen, einen kleinen Tagungsbeitrag einzuführen und dafür beispielsweise Frühstück und Kaffee anzubieten. Wir haben das dieses Jahr gemacht: Für Vortragende 9€, für alle anderen 18€, wobei die 9€ nicht kostendeckend sind und durch die 18€ teilweise querfinanziert werden. Eine solche Mischkalkulation ist bei Tagungen ja nun wirklich nichts ungewöhnliches. Hätten wir die Referenten aber ganz von Beitrag befreien wollen, wäre der volle Beitrag auf ungefähr 30€ gestiegen. Das wollten wir aber vermeiden. Für die 9 bzw. 18€ gab es dann also: Häppchen, Sekt und Kino am ersten Abend, danach drei Tage Frühstücksflatrate bis ungefähr 14:00 und Kaffeeflatrate bis ungefähr 18:00. Außerdem noch Sekt zur Vernissage, Tagungsmappe, Namensschild, ungefähr 40 Vorträge und eine – wie ich finde – schicke Tasse. Um die Müllschlacht des letzten Jahres zu vermeiden, haben wir uns nämlich für Geschirr entschieden, das wir von einem Unternehmen haben liefern und anschließend reinigen lassen. Es ist völlig klar, dass 18€ hierfür absolut bizarr übertrieben sind. Eine richtige Unverschämtheit, wie uns ein Student der hier vorgeführten Fraktion im Tagungsbüro lauthals wissen ließ.

Zum Vergleich: Ich war Anfang August auf einer Summerschool und einer Tagung in Österreich. Allein der Beitrag zur Tagung enthielt nicht mehr als fünf Getränkegutscheine, ein Abendessen und eine Weinverköstigung: 125€ regulär, 62€ Studenten. Die Summerschool mit Tagung zusammen schlug mit 220€ zu buche, enthielt aber Mittag- und Abendessen für die Zeit der Summerschool. Im Vergleich mit den 62€ Studentenbeitrag sind unsere 18€ für 3½ Tage natürlich ein Zeichen des Neoliberalismus und einer scheußlichen Ausbeutungs- und Verwertungslogik. Das ließ mich dann auch die oben genannte Wortführerin wissen:

Nachdem diese nämlich überall unterstrichen hatte, was für ein neoliberales Gesindel wir seien und wie grauenhaft doch alles sei, musste sie sich von diesem Grauen offenbar selbst überzeugen und schlug bei unserer Tagung auf. Die Dokumentation unserer Taten erfolgte, indem sie drei Tage lang in Vorträgen saß und fleißig mitdiskutierte. Sie hatte allerdings keine Tagungsmappe unter dem Arm und ich hatte im System auch ihre Anmeldung nicht gesehen. Ich hatte also im Backoffice geschaut, ob sie vielleicht nachträglich erfasst worden wäre, könnte sie in der Datenbank aber nicht finden. Also sprach ich sie an, ob sie ihren Tagungsbeitrag bezahlt hätte. Sie verneinte, sie sähe das absolut nicht ein und ging. Ich rief ihr daraufhin ein unschönes Wort hinterher, das mir eigentlich sogar ein bisschen Leid tut, aber inhaltlich absolut richtig war. So bezeichnet man im Mittelhochdeutschen nun einmal Wesen, die sich auf Kosten anderer ernähren, aber selbst nichts beitragen. Sie echauffierte sich, wie erwartet. Ich bestätigte meine Auffassung und verlangte, dass sie bezahlen mögen – wie alle anderen auch. Sie weigerte sich. Ich verlangte, dass sie Veranstaltung verlassen möge, woraufhin sie weglief und rief: „Zwing mich doch!“

Ich habe tatsächlich überlegt, vom Hausrecht Gebrauch zu machen und sie ggf. mit Hilfe der Polizei aus dem Schloss entfernen zu lassen. Ich habe mich dann aber im Interesse der Stimmung der Tagung dagegen entschieden. Die Polizei zu rufen, hätte eine Eskalation bedeutet, die ich nicht in Kauf nehmen wollte.

Rückblickend betrachtet bin ich mit ihrem Verhalten aber sehr zufrieden, da sie sich endlich entlarvt hat: Wir haben schon bei ihrem Wunsch, direkt nach dem Bachelor ohne Master zu promovieren, die Augenbrauen hochgezogen, als sie für sich die Installation eines Promotionsprogramms verlangte, das sich mangels Stipendien, Bafögs etc. nur Kinder reicher Eltern leisten können und sie einen vorläufigen negativen Bescheid als persönliche Zumutung zu betrachten schien. Sie? Erst einen Master machen lassen?? Sie behandeln wie alle anderen auch?! Bitte?

Nun ist aber gänzlich klar, dass es mit ihren Solidaritätsreden nicht allzu weit her ist. Um die berechtigten Interessen anderer schert sie sich einen Dreck! Ist etwas in ihrem Interesse, ist es solidarisch, links und gerecht. Entspricht eine Verwaltungsvorschrift, ein Beschluss oder eine Mischkalkulation nicht ihren Wünschen, ist es neoliberal, rechts und eine Frechheit. Wenn man lautstark Gerechtigkeit fordert, sollte man wenigstens darauf achten, sich nicht ständig bei Hummer und Mouton Rothschild 1945 (sponsored by Daddy?) erwischen zu lassen. Sogar im Spätkapitalismus braucht der Salonsozialist ein Quentchen Glaubwürdigkeit. 😉

http://blog.denker.net/about/
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Naheliegende Features

Für die Nachwuchstagung, an der ich mitorganisiere, haben wir den Pentabarf als Conference Planing Tool eingesetzt. Als wir vor ein paar Tagen das Programm fertig hatten und den ersten HTML/XML-Export fertig hatten, mussten wir feststellen, dass das Programm dort die Rollen der beteiligten Personen verschweigt, sodass es unmöglich ist, im Programm Speaker und Moderatoren zu unterscheiden.

Da ich kein Ruby kann und dachte, dass ein so naheliegendes Feature existieren müsse, fragte ich auf irc.oftc.net in #pentabarf nach: keine Antwort. Auch Google wusste nichts, das Bugtrackingsystem nicht etc. – Ich glaube bis heute nicht, dass niemand dieses Feature requestet hat… naja.

Ich kann jetzt übrigens so viel Ruby, dass ich das Problem selbst gelöst habe. Mal sehen ob eine Reaktion auf den Patch erfolgt %-)

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Akuter Gehirngebrauch…

Das Verfassungsgericht Costa Ricas hat geurteilt, dass Minderheitenrechte nicht Gegenstand einer Mehrheitsentscheidung sein können, weil sie einen Anspruch der Minderheit gegen die Mehrheit darstellen. Die katholische Kirche, die den Volksentscheid gegen die Rechte einer Minderheit angezettelt hat, dürfte jetzt natürlich schäumen, wird aber akzeptieren müssen, dass auch 98% nicht entscheiden können, 2% elementare Rechte vorzuenthalten.

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Homöopathische Rettung des Systems

Mir ist erst gerade klar geworden, was für ein brillanter Heiler Karl Lauterbach ist. Er hat tatsächlich die Lösung die Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung gefunden, die eigentlich vor unser aller Augen lag:

Die Streichung von Homöopathie aus dem Leistungskatalog wird das Gesundheitssystem schlagartig heilen.

Wieso?

Nun:

Das Problem der GKV ist, dass zu viele Menschen zu oft ernsthafte Krankheiten bekommen, deren Behandlung zu teuer ist. Nun wirkt Homöopathie, das weiß ja jeder Heiler, paradox: Man muss das, was die Krankheit den Symptomen nach auslöst, ausreichend potenzieren, um die Krankheit zu behandeln. Was löst aber hohe Behandlungskosten aus? Schlechte Medizin! Homöopathie ist aber gute Medizin – das weiß jeder Heiler. Also ist die Anwendung von Homöopathie im GKV-System ein allopathisches Herumdoktern an den Problem und keinesfalls ganzheitlich. Wir brauchen aber doch schlechte Medizin, die ausreichend potenziert die GKV heilt. Da Homöopathie aber gute Medizin ist, ist ihr Gegenteil schlechte Medizin, die potenziert heilend wirkt, denn was ist weiter von guter Medizin (d.i. Homöopathie) entfernt als keine Homöopathie? Damit ist keine-Homöopathie schlechte Medizin. Nun ist es aber auch wahr, dass Homöopathie nur einen kleinen Anteil der Kosten in der GKV ausmacht. Sie zu streichen wäre also eine winzig kleine Menge, die kaum messbar ist.

Damit erfüllt die Streichung von Homöopathie genau die richtigen Voraussetzungen für eine Heilung: Es wird genau das getan, was alles schlimmer macht, aber eben in einer winzig kleinen Menge.

Karl Lauterbach hat sich übrigens viele Jahre Zeit für ein ausführliches Gespräch mit dem kranken GKV-System genommen. Er hat dessen Lebensunstände genau analysiert und jetzt die richtige Zubereitung ausgewählt. Das Homöopathie-Verbotsgesetz ausreichend potenziert an die Kassen geschickt, wird im Nu deren Einnahmen sprudeln lassen. Bei meinen Nachbarn hat es auch funktioniert und ich verstehe nicht, wieso die Homöopathen nicht längst einstimmen: Ich vermute, die, die gegen die Streichung von Homöopathie aus dem Kassen-Leistungskatalog sind, werden von der Globuli-Industrie bezahlt. Wir müssen aber das GKV-System endlich ganzheitlich heilen und dürfen uns nicht auf chemische Glukose verlassen.

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Künast D120

Ich schrieb Renate Künast eine E-Mail:

Liebe Frau Künast,

ich schätze die Grünen seit vielen Jahren als moderne und selbstkritische Alternative zu den so genannten Volksparteien. Ich stimme zwar nicht in allen Punkten mit Ihrer Partei überein, doch entspricht das von Ihnen vertretene Gesellschaftsmodell und Ihr Engagement für eine moderne Energie- und Bürgerrechtspolitik am ehesten meinen Vorstellungen.

Daher bin ich über Ihre Forderung, der GKV auch weiterhin die Übernahme von homöopathischen „Behandlunen“ zu gestatten, erschrocken und traurig. Laut tagesschau.de sagten Sie:

„Die pauschale Kritik an der Homöopathie verkennt, dass selbst die Schulmedizin in vielen Fällen auf die industrielle Nachahmung von Heilmitteln zurückgreift, die es in der Natur kostenlos gibt.“

Sie haben vollkommen Recht, dass die wissenschaftliche Medizin, wie sie an unseren Universitäten gelehrt wird und die unsere Lebensqualität über jedes in der Menschheitsgeschichte bekannte Maß hinaus gehoben hat, auf natürliche Produkte zurückgreift, auch wenn diese teilweise nur nachgeahmt werden. Das bekannteste Beispiel dürfte Aspirin sein, das heute großtechnisch hergestellt
wird, aber ursprünglich auf einem Extrakt aus der Weidenrinde basiert. Zwar darf hier nicht vergessen werden, dass das ursprüngliche Extrakt, das von Menschen seit Jahrtausenden erfolgreich gegen Schmerzen eingesetzt wird, den Magen schädigt und die Modifikation der ursprünglichen Substanz durch die Industrie somit tatsächlich einen Fortschritt darstellt, aber auch Salbei und
Eukalyptus, die ich für die Selbstmedikation bei leichten Erkältungen überaus schätze, sind klassische Beispiele für den großen Nutzen, den unsere Zivilisation aus dem „Wissen“ der Natur ziehen kann.

Umso erschrockener bin ich aber darüber, dass Sie offenbar nicht zwischen Homöopathie und Heilmitteln „aus der Natur“ differenzieren: Homöopathie basiert gerade nicht auf natürlichen Substanzen und fixiert auch kein Jahrtausende altes Wissen, sondern ist eine esoterische Lehre, die Ende des 18. Jahrhunderts von Samuel Hahnemann erfunden wurde. Der Name „Homöopathie“ kommt aus dem altgriechischen und bedeutet dort „das Gleiche“ und „Leiden“ (ὅμοιος, πάθος). Um Homöopathie zu verstehen, muss man diesen Namen wörtlich nehmen: Der Grundgedanke der H. ist, dass solche Substanzen Krankheiten heilen
können, deren Symptome sie auslösen, sofern sie auf eine bestimmte Weise zubereitet wurden. So vertreten Homöopathen die Auffassung, dass Bella Donna, also die (giftige) schwarze Tollkirsche, ein Mittel gegen Krämpfe, Fieber, Hirnhautentzündung(!) und Tollwut(!) darstellt. Im Handel befindet sich beispielsweise eine Zubereitung von Bella Donna D120 Globuli. Dabei handelt es
sich um Zuckerperlen, in denen die Substanz der Bella Donna im Verhältnis von 1:10^120 enthalten ist. Die Homöopathie vertritt die Auffassung, dass etwas um so stärker wirkt, je stärker es verdünnt ist. Nun enthält das beobachtbare Universum ungefähr 10^80 Teilchen. Mit etwas Mathematik erkennt man, dass bei einem Verdünnungsgrad von D120 also in 10^40 Universen(!) ein Teilchen der ursprünglichen Substanz enthalten ist. Zum Vergleich: Die Deutschen Staatsschulden bewegen sich im Bereich von 10^13. (Falls Sie sich wundern: Mit Hilfe der Potenzierung lassen sich solche Verdünnungen zumindest theoretisch durchaus herstellen. De facto ist es aber so, dass aufgrund der natürlichen Verschmutzung bereits Leitungswasser bei ungefähr Bella Donna D17 liegt. Dies
entspricht ungefähr einer Tollkirsche in der gesamten Wasserversorgung der Stadt Leipzig. D.h. dass bereits Leitungswasser deutlich stärker konzentriert ist und keine weitere Verdünnung mehr gestattet. Es bedeutet aber auch, dass Leitungswasser ein schwaches homöopathisches Mittel gegen Fieber ist.)

Um Ihnen die „physikalische“ Theorie der Homöopathen noch deutlicher zu machen: Atommüll strahlt bekanntlich und verursacht u.a. Strahlenkrankheit, Zeugungsunfähigkeit, Krebs. Würde man ein Atom(!) strahlenden Urans auf homöopathische Weise mit dem gesamten Wasser der Erde „verschütteln“, so erhielte man ungefähr Uran D49. Das wäre immernoch deutlich zu stark verglichen mit Bella Donna D120, würde aber ein gutes homöopathisches Medikament gegen Krebs abgeben.

Weitere Substanzen, die Homöopathen einsetzen sind Arsen und Coffein. Das letzte wird insbesondere zur Bekämpfung von Schlaflosigkeit eingesetzt.

Die Homöopathen sind also gezwungen, einzuräumen, dass in ihren „Zubereitungen“ keinerlei wirkfähige Substanz enthalten ist. Angeblich wirke Homöopathie aufgrund eines quantenmechanischen Effekts der Wasser- und Zuckermoleküle. Sofern dieser Effekt aber tatsächlich existiert, muss die universitäre Physik mit ihren Überlegungen grundsätzlich falsch liegen. Bitte vergessen Sie nicht, dass mittlerweile zwei Drittel des Weltbruttosozialproduktes auf der Quantenmechanik basieren. Schon Ihr Computer wäre ohne Quantenmechanik nicht denkbar. Haben Homöopathen also Recht, dann ist das Funktionieren Ihres Computers ein unerklärliches Rätsel – das gilt übrigens für Solarzellen und die Gefährlichkeit von Atommüll nicht weniger.

Bitte beachten Sie, dass ich mir diese Geschichte nicht ausgedacht habe. Sie können diese Überlegungen in jedem Handbuch der Homöopathie nachlesen. Ich rate Ihnen aber dazu, den „Organon der Heilkunst“ von Samuel Hahnemann, also das Gründungsdokument der Homöopathie selbst zur Hand zu nehmen. Sie werden leicht feststellen, dass ich mit meiner Darstellung nicht über-, sondern eher noch untertrieben habe.

Insofern bitte ich Sie also eindringlich darum, Homöopathie nicht mit natürlichen Heilmitteln zu verwechseln. Wir können sehr viel von der Natur lernen und es würde mich nicht überraschen, wenn wir dort Lösungen für Geißeln wie Krebs oder HIV finden. Die Homöopathie ist dagegen, mit Verlaub, unwissenschaftlicher Nonsense und sollte von der gesetzlichen Krankenversicherung ebensowenig erstattet werden wie Seancen, Pendeln, Fernstreicheln oder Schamanentum. Wer sein eigenes Geld für einen
erwiesenermaßen wirklungslosen Aberglauben ausgeben will, soll das bitte tun, aber nicht unser Gesundheitssystem belasten – wie hoch das Einsparpotential auch immer sei.

Mit freundlichen Grüßen aus Darmstadt,
Kai Denker

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Des einen Leid, des anderen Freud

Angeblich soll ein Lobbyist der Content-Industrie gesagt haben:

Child pornography is great

Aber nicht, weil er selbst ein Pädo ist, sondern weil mit dieser Aktion Netzpolitik gemacht werden kann. Politiker verstünden zwar nichts vom Urheberrecht und vom Netz, aber von Kinderpornographie.

Ist es vielleicht so, dass wir die Hysterie um Kindesmissbrauch, die wir zeitweise erlebt haben (Damit ist nicht gemeint, dass Kindesmissbrauch nicht ein schreckliches Verbrechen ist, das ohne Wenn und Aber bestraft gehört, sondern dass die liebevolle Bearbeitung des Themas durch die Boulevard-Medien zu einer verzerrten Wahrnehmung der rückläufigen Fallzahlen geführt hat. Nochmal: Dass die katholische Kirche ein System zur Vertuschung von Straftaten aufgebaut zu haben scheint, ist eine Abscheulichkeit eigener Art.), nichts anderes als das Ergebnis einiger Spin-Doctoren ist, die eigentlich andere Ziele verfolgen?

Ich kann mir, neben dem Kindesmissbrauch selbst, nur wenig vorstellen, was scheußlicher ist, als das schlimme Schicksal anderer Menschen für die eigene politische Agenda zu missbrauchen. Wie kann ein Mensch, der Kinderpornographie für großartig hält, egal aus welchem Grund, morgens noch in den Spiegel schauen?

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Sprecht mit Aliens!

SPON berichtet mal wieder, dass Stephen Hawking uns davor warnt, mit Aliens zu reden, weil diese vielleicht nomadisch durch die Gegend ziehen und Planeten, die sie finden, ausplündern.

Das ist zwar möglich, aber was wird in diesen Überlegungen unterschlagen?

  1. Das Weltall ist groß, also wirklich verdammt groß und die Suche nach Exoplaneten deutet darauf hin, dass es verdammt viele Körper gibt, unter denen sich auch eine Menge Körper befinden dürfte, auf denen es Rohstoffe gibt, deren Abbau sich lohnt. Und die bewohnbaren Planeten werden auch nicht alle mit intelligenten Wesen bevölkert sein, sondern die meisten solcher Planeten werden sich in einer Phase der Evolution befinden, in der Wesen existieren, die Pflanzen und einfachen Tieren ähneln – das vermutet ja auch Hawking. Wir sind also nicht ein besonderes Ziel, sondern vermutlich nur eines unter Millionen möglichen Zielen und wahrscheinlich nicht das attraktivste.
  2. Es ist nicht ausgemacht, wieso eine Gesellschaft, die ein technologisches Niveau erreicht hat, um interstellare Reisen zu unternehmen, derartig homogen sein sollte, wie Hawking es notwendig unterstellen muss. Komplexe Systeme erfordern eine hoch arbeitsteilige Gesellschaft, die nicht einfach nur aus Arbeitern, sondern aus hochspezialisierten und ausgebildeten Individuen besteht. Es ist anzunehmen, dass eine solche Gesellschaft, die dazu noch nomadisch sein müsste, nicht von einem zentralen Willen gesteuert wird, sondern dass sie überaus heterogen ist. Gleichzeitig korreliert ein hohes technologisches Niveau nach unserem Wissen mit Wohlstand und einer Entwicklung von Kunst und Kultur. Es ist daher anzunehmen, dass sich in einer solchen Gesellschaft auch ethische Diskurse entwickelt haben, sodass es zumindest nicht unumstritten wäre, wenn die Alien-Regierung beschließt, die Erde auszuplündern, während man ebenso den Mars oder den Asteroidengürtel ausplündern könnte, während ein Haufen Exoethnologen sich diesen komischen dritten Planeten ansieht.
  3. Überlegt man umgekehrt, dass die Aliengesellschaft unter starkem wirtschaftlichem Druck steht, sodass sie sich genötigt sieht, auf Wissenschaften wie Ethnologie, Kunstgeschichte oder Philosophie zu verzichten, dann gilt das gesagte um so mehr: Sicher hätten die Aliens technologisch die Möglichkeit, uns zu vernichten, aber dies wird mit einer guten Chance die Bewohnbarkeit unseres Planetens beenden (im Falle von Waffen, die den Planeten sterilisieren) oder riesige Kosten verursachen (im Falle von Terraforming-Waffen), sodass es wirtschaftlich bestimmt attraktiver erscheint, unbewohnte Planeten auszuplündern: Schließlich ist der Unterhalt einer Besatzungsarmee überaus teuer, was der Annahme der wirtschaftlichen Notlage widerspricht. Vermutlich also unterhält die Aliengesellschaft Geistes- und Kulturwissenschaften oder ist zu arm für Krieg und/oder Besatzung.
  4. Und was ist mit Sklaven? Wieso könnten uns Aliens nicht einfach versklaven? Nun, wenn diese Gesellschaft technologisch so hoch entwickelt ist, dann wird ihr Bedarf an unausgebildeten Arbeitern gegen Null gehen. Wollte man uns also als Sklaven in eine Aliengesellschaft integrieren (mal angenommen, man würde uns nicht für zu dumm halten…), dann müsste man unsere Bevölkerung massenhaft ausbilden und an die Alientechnologie heranführen. Das ist, wie wir wissen, teuer und kommt also nicht in Frage, wenn die Aliengesellschaft in einer wirtschaftlichen Notlage befindet. Ist das nicht der Fall, dann werden wahrscheinlich Geistes- und Kulturwissenschaften bestehen und die Aliens werden sich für uns auf einer ganz anderen Ebene interessieren. Nehmen wir aber einmal an, dass sich die Aliengesellschaft doch dazu entschließt, uns als hochgradig ausgebildete Arbeiter in ihre Gesellschaft zu integrieren. Entweder würden wir es aufgrund des brillanten Geschicks der Aliens nicht merken oder wir würden merken, welche Rolle wir spielen. Merken wir es nicht, dann hätten wir uns nicht zu beklagen. (Wer sagt eigentlich, dass wir nicht längst eine Art interstellares Bollywood sind und massenhaft Soaps für einen verdammt großen Markt produzieren. Schließlich strahlen wir den ganzen Kram elektromagnetisch ab. RIAA, übernehmen Sie!) Nehmen wir also an, wir würden es merken. Dann hätten wir die Chance uns daraus zu befreien oder nicht. Nehmen wir an, wir wüssten um unsere Lage und dass wir uns nicht befreien können. Da wir nun aber hochausgebildete Sklaven sind, werden wir aufgrund unserer Kenntnisse stets in der Lage sein, die Forderungen unserer Herren zu unterlaufen, da wir eben langsamer forschen oder einfach keine Ergebnisse erhalten. Während nämlich das Abernten von Baumwolle leicht anhand der erhaltenen Menge Baumwolle gemessen werden kann, ist das Abschätzen der Qualität von Forschung viel schwieriger. (Wir dürfen hier nicht vergessen, dass wir nach Voraussetzung keine Arbeiten übernehmen, die automatisierbar sind.) Auch als Sklaven einer Alienrasse gilt für unsere Wissenschaftler: Angst und Stress hemmen Kreativität. Wer in nackter Angst lebt, kann an einem Fließband stehen, aber wohl nur schwerlich Subraumquantenphysik betreiben. Wirtschaftlich lohnender für die Aliens wäre es also, uns, sofern wir uns unserer Lage bewusst sind, als Arbeiter zu integrieren, die Chance zum Aufstieg haben, sodass wir stets Handlungsoptionen haben. Diese Handlungsoptionen können entweder real oder simulativ sein. Sind sie simulativ, werden wir das irgendwann merken oder nicht. Merken wir es nicht, bemerken wir unsere Lage nicht, was der Voraussetzung widerspricht. Merken wir, dass es simulativ ist, merken wir, dass wir in aussichtsloser Lage sind. (Zugegeben: Hier verläuft die schmale Linie zwischen blanker Not und einer aussichtslosen Lage. Kafka, übernehmen Sie!) Wir müssen also nun denken, dass wir unsere Lage einsehen und unsere Handlungsoptionen real sind. Dann werden wir auch die Möglichkeit zu einem realen Aufstieg haben und damit keine Sklaven mehr sein. Die Übersetzung in Begriffe mit fließenden Grenzen ist möglich und sei dem Leser zur Übung überlassen. (Wer diese Situation für eine unglaubliche Grausamkeit hält, mache ich sich bitte die Struktur unseres Wirtschaftssystems klar.)
  5. Und was passiert mit unserer Gesellschaft, wenn wir Kontakt zu einer Aliengesellschaft bekommen, die uns nicht ausplündern will (obgleich sie es vielleicht mit anderen Planeten tut) und die uns nicht versklaven will (obgleich sie uns als Arbeitskräfte akzeptieren würde)? Nun, dann würden auch wir uns verändern. Wir hätten die Chance sehr viel zu lernen und nach einer Reihe von Missverständnissen und wahrscheinlich auch Konflikten, würden wir lernen, miteinander auszukommen. Dass es Krieg gibt, halte ich nicht für sehr wahrscheinlich. Gegenwärtig wären wir nicht in der Lage, die Aliens vom Ausplündern des Mars abzuhalten und dies wäre für sie wohl billiger. Würden wir also über Kontakt mit ihnen verfügen können, dann wohl mit ihrem Willen und damit wohl auch mit ihrem Einsehen in die Schwierigkeiten eines solchen Kontakts. Ja und wenn unsere Gesellschaft dann in einer interstellaren Gesellschaft aufgeht? Nun, dann ist es eben so. Den ewigen Erhalt unserer Kultur in ihrer jetzigen Form zu fordern, ist allenfalls reaktionär und wer sich damit begnügt, die Erinnerung an unsere Kultur zu konservieren, der sollte sich für historisch arbeitende Wissenschaften aussprechen. Bücher, über die Geschichte unseres Planeten, werden sicher auch von anderen Spezies mit Interesse gelesen.
  6. Sollen wir Aliens also mittels aktiver SETI anlocken? Natürlich! Ist die Aliengesellschaft in einer wirtschaftlichen Notlage, wird sie wohl nicht einen Umweg machen, um uns auszuplündern, sondern das tun, was wirtschaftlich geboten ist und das wird sie sowieso tun – ob nun mit oder ohne SETI. Kann die Aliengesellschaft sich aber den Luxus leisten, unserem Ruf Folge zu leisten, dann ist sie höchstwahrscheinlich keine Gefahr, sondern wird uns schlimmstenfalls erforschen. Und diese Folgen sind nun wirklich überschaubar.
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Schwule Schuld

Während woanders unzureichend vermummte Frauen für Erdbeben sorgen, sind die Schwulen und Lesben in Deutschland für ganz andere Probleme verantwortlich: Weil wir Menschenrechte wollen, wollen sich Muslime nicht integrieren.

Dass die Schwulen Schuld am Übel der Welt sind, hätte man ja auch schon wissen können, als wir den 11. September, Madrid oder London angezettelt haben. Wie? Radikale muslimische Terrorzellen seien das gewesen? Ja, schon, aber wenn wir Schwulen sie mit unserer unverschämten Forderung nach Menschenrechten nicht provoziert hätten…

So neu ist dieses Argument übrigens gar nicht: Als ich im letzten Jahrhundert in meiner Schule gegen einen Filter im HTTP-Proxy protestierte, der neben skandalösen Wörtern wie „Brüste“ und „Vagina“ auch „Schwul“, „Gay“, „Lesbian“ etc. aus den URLs(sic! Es lebe die Wirkungslosigkeit!) aussortierte, wurde mir vom verantwortlichen Lehrer attestiert, ich solle auch Rücksicht auf muslimische Schülerinnen nehmen, die sich durch sowas vielleicht gestört fühlten. Insofern muss ich mich schon fragen: Hätte ich kein Coming Out gehabt, sondern mich brav weiterhin versteckt oder vielleicht sogar umgebracht, wäre der Iran heute säkular?

Update: Ich sehe gerade, dass Uganda ein Gesetz zur Beförderung des interreligiösen Dialogs und zur Integration von Minderheiten beschließen will. Deutschland kann wohl von Uganda lernen!

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Vom Hokuspokus zum Aspirin und zurück

Habt Ihr diesen unsäglichen Jubel-Artikel über „alternative Heilmethoden“ in der Zeit gesehen? Wenn man den so liest, kann man eigentlich den Eindruck bekommen, dass Globuli die Antwort auf alle Fragen sind und dass Heilpraktiker einen uralten Schatz phantastischen Wissens horten. Wenn man sich aber auch nur ein bisschen auskennt und genauer liest, kommt man um folgende Feststellungen nicht umhin:

  • Pflanzliche Arzneien und Hokuspokus wie Homöopathie werden mal wieder in einen Topf geworfen. Dass die Medizin durchaus auch pflanzliche Substanzen einsetzt wird unterschlagen und stattdessen wird in einer unglaublich blödsinnigen Formulierung behauptet, die Pharma-Industrie entwerfe gefährliche Chemiekalien am Reißbrett.
  • Das, was die Schulmedizin von „alternativen Heilmethoden“ lernen kann, läuft letztlich auf „Nimm Dir mehr Zeit für Deinen Patienten!“ hinaus. Zur Untermauerung wird darauf verwiesen, dass Ärzte in Deutschland sich im Durchschnitt nur wenige Minuten Zeit für ihre Patienten nehmen. Nur was fließt alles in den Durchschnitt ein? Ja, auch Menschen, die aus Langeweile zum Arzt gehen und daher völlig zurecht in wenigen Minuten abgefertigt werden und natürlich auch Menschen, die in einer Grippe-Saison mit eindeutigen Grippe-Symptomen in eine mit Grippe-Patienten überfüllte Arztpraxis gehen. Soll der Arzt sich da wirklich um die Geschichte des Stuhlgangs der Großmutter väterlicherseits bemühen oder soll er einfach das machen, was allen anderen mit dem offenbar gleichen Virus auch geholfen hat? Wenn sich unsere Ärzte wirklich auf so eine beknackte Erhebung der Krankengeschichte einließen, wäre der Kassenbeitrag noch höher und das Geschrei noch größer.
  • Das, was die „Alternativmediziner“ von der Schulmedizin lernen könnten, ist, was ja auch richtig ist, die wissenschaftliche Methode. Natürlich ist auch der bis zum Erbrechen kolportierte Einwand der Hokuspokus-Praktiker nicht weit, man könnte ihren ganzheitlichen Ansatz eben nicht untersuchen. Natürlich kann man nicht mit wissenschaftlichen Standards den Einfluss großelterlicher Stuhlkontinenz auf eine Knabenurin-Therapie bei Vollmond untersuchen. Und wieso nicht? Weil es einfach nur Geschwafel und Geschwätz ohne jene sinnvolle Struktur ist.
  • Was auch nicht fehlt, ist der Vorwurf an die Schulmedizin, sie behandele ja nur Symptome und interessiere sich nicht für die „tiefere Ursache“ einer Erkrankung. Nun, bei einer Erkältung, die der Körper selbst bewältigen kann, mag sie das so handhaben und nur die Symptome lindern. Aber nehmen wir doch mal das Beispiel Krebs: Wo untersucht die Wissenschaft denn die Ursachen dieser Erkrankung genauer und wo hat sie es bisher gründlicher vermocht, hochspezialisierte Behandlungsmethoden zu entwickeln. Oder das Beispiel AIDS: Antivirale Medikamente, die Millionen Menschen das Leben retten können, sind in Laboren entstanden und nicht von irgendeinem durchgeknallten Schmierfinken Ende des 18. Jahrhunderts zusammengeschwurbelt worden. Ohja, die Homöopathie enthält gar kein „altes“ Wissen von irgendwelchen Naturvölkern, was uns einige – Achtung: größtmögliche Beleidigung der menschlichen Vernunftbegabtheit voraus! – schamanische Vollpfosten so gerne einzureden suchen. Vielmehr wurde sie Ende des 18. Jahrhunderts erdacht – erfunden will man nicht sagen, da da zuviel an „Suchen“ drin steckt. Und was tut diese Homöopathie? Sie verdünnt giftige Substanzen wie Arsen und Tollkirsche astronomisch klein, wählt sie nach dem Kriterium aus, ob die Substanz unverdünnt die Symptome auslösen kann, die behandelt werden sollen und verabreicht diese zusammen mit einer hohen Rechnung. Wer mir nicht glaubt, sollte sich mal die Mühe machen, den Wikipedia-Artikel zu Homöopathie zu lesen. Ich hab mir das alles nicht ausgedacht. Die waren es.
  • Neu ist mir allerdings die Abgrenzung des Homöopathen-Geschwurbels von nicht weniger bizarren Praktiken anderer Quacksalber. Vergleicht man den Unfug der Homöopathie mit dem des Ohrkerzen-Gurus, dann erscheint die Homöopathie tatsächlich sinnvoller. Aber eben nur solange man nicht zu genau hinsieht und sich nicht klar macht, dass die bizarren Theorien der Homöopathie nur dann funktionieren können, wenn sich die Wissenschaft über die physikalische Natur des Universums gründlich irrt. Da aber Homöopathie in wissenschaftlichen Tests nie einen belastbaren Behandlungserfolg vorweisen konnte, aber dafür mehr als die Hälfte unserer Volkswirtschaft auf den Erkenntnissen der Quantenmechanik aufsetzt, bin ich sicher, dass ich nur ein verblendeter Fundamentalist bin, wenn ich der empirisch überprüfbaren Physik einen gewissen Vorzug einräume. Die Zeit nimmt allerdings den anderen Ausweg und schwafelt mal wieder von Pflanzen, wenn sie Hokuspokus meinen. Und zur Untermauerung dieses blödsinnigen Geschwätzes erdreistet sich der Autor auch noch auf den Erfolg einer Vitamin-C-reichen Ernährung bei Skorbut zu verweisen. An diesen Stellen wünscht man sich dann immer, dass vorsätzliche Verdrehung offensichtlicher Tatsachen hart bestraft würden und hat Mühe, den Sinn der Meinungsfreiheit noch einzusehen. * Nun aber, wo der Leser mit einer absurden Gleichsetzung von Hokuspokus mit von Pflanzen hergestellten Chemiekalien ausreichend benebelt ist, kann der Autor endlich das Beispiel Aspirin bringen, das ja ein weiterentwickeltes Extrakt der Weidenrinde sei. Ratet mal, wieso man es weiterentwickelte! Na, weil die natürliche Version harte Nebenwirkungen (z.B. Magenblutungen) hat und die am Reißbrett der bösen chemischen Industrie entwickelte Modifikation besser verträglich ist. Was passiert dann erst, wenn die chemische Industrie in Globuli richtige Wirkstoffe reinmacht? Wäre das nicht grandios? Stellt Euch mal vor, man könnte in der Apotheke kleine, weiße Kapseln oder Perlchen kaufen, die einen Sotff enthalten, der sich in wissenschaftlichen Studien als wirksam gegen bestimmte Erkrankungen erwiesen hat. Ich schlage vor, wir nennen diese verbesserten Globuli „Tabletten“. Dass da früher niemand drauf gekommen ist!
  • Gegen Ende des Artikels wird der Autor dann wieder versöhnlich und lobpreist den Gewinn, den die wissenschaftliche Medizin aus der Untersuchung natürlicher Substanzen ziehen kann. Er verweist darauf, dass auch diese Substanzen Nebenwirkungen haben und nicht gedankenlos eingenommen werden sollten. Das ist ja alles richtig und eigentlich möchte man zustimmen, würde man aufgrund der zuvor verbreiteten Lügen nicht noch kotzend über der Schüssel hängen. Es ist ein altbekannter rhetorischer Trick, einem Zuhörer eine bizarre Lüge durch noch mehr Lügen schmackhaft zu machen und ihm am Ende eine so offensichtliche Wahrheit zu unterbreiten, dass er den Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit nicht mehr erkennt. Das funktioniert meistens deshalb gut, weil es nicht so plump ist, dass es von wirklich jedem nachgeahmt werden könnte. Für die Freunde formaler Argumentationsschemata: Der Trick geht etwa so: Man behauptet immer wieder, A sei B, betont, dass A aber nicht C sei und verdammt C, obgleich die Argumente hierfür auch auf A zutreffen. Anschließend lobpreist man B solange, dass der Zuhöhrer sich nur noch Vage an den angeblichen Unterschied zwischen A und C und an die Gleichsetzung von A und B erinnert, die ja auch irgendwie plausibel klang. Nachdem nun die Sympathie für B bereitet wurde, schlüpft man in das Gewand des Kritikers, mäkelt ein bisschen an B herum, kommt aber doch zu einem positiven Bescheid. In dieser zunächst kritischen Bewegung gegenüber B vergisst der Zuhörer alle Zweifel an der Kategorisierung von A/B/C und bei der anschließenden Rückkehr zum positiven Bescheid über B reißt man in der Wahrnehmung des Zuhörers A wieder mit. – Da übrigens aus dem Falschen das Beliebige folgt, eignet sich dieses Schema für praktisch alle Augenwischereien.
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Der ganzen Christenheit reicher Gnadensegen

In den ersten März-Tagen des Jahres 1933, also vor 77 Jahren, erlebte die Republik Österreich eine Parlamentskrise, die die Regierung unter dem Kanzler Engelbert Dollfuß zur Beseitigung der Demokratie und zur Installation eines am faschistischen Italien orientierten Ständestaates nutzte (Austrofaschismus). Mit der Mai-Verfassung vom 1. Mai 1933, die nicht rechtmäßig zustande kam, wurden schließlich demokratische Elemente weitgehend beseitigt.

Während aber bei der etwa zeitgleichen Installation des deutschen Faschismus die katholische Kirche keine große Rolle spielte, sah dies im katholischen Österreich anders aus. So heißt es im Weihnachtsbrief der österreichischen Bischöfe von 1933:

Das Jahr 1933 hat der ganzen Christenheit reichen Gnadensegen, unserem Vaterland Österreich überdies viele Freuden gebracht […]. Sie (die Regierung, Anm.) kann schon jetzt auf eine Reihe von segensreichen Taten hinweisen, die das wahre Wohl sichern und fördern[.] [zit. nach Wolfgang Huber Die Gegenreformation 1933/34 in Neuhäuser, 2004, S. 47], hier zit. nach [1]

Der Katholikentag im Oktober 1933 flankierte den katholischen Jubel mit dem Motto „Niemals zurück“ und am 16. August 1933 schl0ß Österreich mit dem heiligen Stuhl ein Konkordat, das unter anderem den Austritt aus der Kirche erschwerte, indem es den Austrittswilligen eine Prüfung des „Geistes- und Gemütszustands“ auferlegt.

Und sogar der Piux XI., der ebenso wie sein Nachfolger Pius XII. durch Schweigen zum Nationalsozialismus aufgefallen ist, erteilte Dollfuß den apostolischen Segen. Schon im Oktober 1933 nannte genannter Pius XI. die Diktaturregierung Dollfußens eine von:vornehmen Männern, die Österreich in dieser Zeit, in diesen Tagen regieren, die Österreich so gut, so entschieden, so christlich regieren“ [Ebd.] Zwar ist richtig, dass sich Puis XI. mit der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ 1937 vom deutschen Faschismus distanzierte, aber angesichts seiner ebenso brennenden Zustimmung für den Austrofaschismus lässt sich wohl nur feststellen, dass die „brennende“ Sorge weniger dem Faschismus, als vielmehr dem Verhältnis der jeweiligen Faschisten zu seiner Kirche galt.

Die Pontifikate kamen und gingen über die Jahrhunderte, aber dieses ist eine der wenigen historischen Konstanten, die insbesondere auf die katholische Kirche zutreffen: Egal was für ein Schwein der Andere ist, solange er Deine Macht hofiert und Dir den Arsch leckt, ist er Dein Freund. – Nicht auszudenken, wenn der Stalinismus ein klerikales Regime gewesen wäre! – Wie dem auch sei: Für einen Historiker ist diese Diagnose trivial und wenig überraschend, dem kirchenkritischen Beobachter zeigt sich nur wieder einmal, wie wenig Platz für Moral in der katholischen Kirche ist: Wäre das Christentum, von einigen wenigen Irren einmal abgesehen, wirklich aus moralisch integeren Menschen, hätte die christliche Lehre tatsächlich irgendeinen moralisch-ethischen Gehalt, wäre die Geschichte vielleicht nicht im Großen und Ganzen, aber doch in unzähligen Nebenschauplätzen anders verlaufen.

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