Was mancher Nerd mit Merkel gemeinsam hat…

In seiner späten Schrift zur Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft vergleicht Kant zwei religiöse Ausdrucksweisen miteinander:

Von einem tungusischen Schaman, bis zu dem Kirche und Staat zugleich regierenden europäischen Prälaten, oder (wollen wir statt der Häupter und Anführer nur auf die Glaubensanhänger nach ihrer eignen Vorstellungsart sehen) zwischen dem ganz sinnlichen Wogulitzen, der die Tatze von einem Bärenfell sich des Morgens auf sein Haupt legt, mit dem kurzen Gebet: »Schlag mich nicht tot!« bis zum sublimierten Puritaner und Independenten in Connecticut ist zwar ein mächtiger Abstand in der Manier, aber nicht im Prinzip zu glauben; […] (Immanuel Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, in: Kant-Werke Bd. 8, hier: S. 848).

Ein ebenso mächtiger Abstand in der Manier, also in den äußeren, ästhetischen Elementen im Umgang mit der NSA-Affäre besteht zweifelsohne zwischen der Netzszene im weitesten Sinne und dem öffentlichen, d.h. hier: dem (partei-)staatlichen Deutschland. Einerseits ein bis zum Alarmismus reichendes Narrativ des post-paranoiden „told you so: we’re all fucked“, andererseits ein beruhigendes Einlullen, das jede Kritik in einem völlig effekt- und konsequenzlosen „Mutti kümmert sich doch“ ersäuft. Es scheint, es könnte zwischen beiden Seiten kein größerer Abstand bestehen.

Dennoch teilen beide ein Prinzip miteinander: Das Prinzip eine Deutungshoheit für sich zu beanspruchen und sich um die Codierung der NSA-Affäre im öffentlichen Bewusstsein zu streiten. In beiden Fällen wird eine Linie gezogen, die ein Diesseits und ein Jenseits erschafft. Staatlicherseits wird die Vernunft der sachlichen Auseinandersetzung gegen die antiamerikanische Paranoia gestellt. Netzseitig wird beispielsweise eine Linie zwischen denen gezogen, die die Situation durchschauen, und denen, die auf eine Propaganda hereinfallen oder sich qua Kritik am Datenschutznarrativ ohnedies auf die Seite des „Bösen“ gestellt haben. In beiden Fällen wird ein Signifikationssystem errichtet, das die Interpretation vorgibt und die Interpretationsmacht einer Art Priesterkaste zuweist, die neben der Interpretation noch die Form der Vernunft hütet. Staatlicherseits sind es Minister und Leiter nachgeordneter Behörden, die die Snowden-Enthüllungen auszulegen haben. Der konkrete Auslegungsinhalt mag sich unterscheiden, aber die Form ist netzseitig gleich: einzelne Blogger oder Aktivisten beanspruchen das Narrativ und gelangen wie durch ein Wunder zu der Auffassung, sie selbst hätten es ja gleich gewusst. Das Wunder ist natürlich Effekt der Selbstanwendung der Vernunftform. Die Zentren der Signifikationssysteme sind materiell unterschieden: staatlicherseits ein durch die FDGO codiertes öffentliches Interesse von Staat und folglich Volk, netzseitig ein durch dystopische Szenarien codiertes Allgemeininteresse von Volk und folglich Staat. Beide Zentren codieren also einen Schutzanspruch: das Gemeinwohl als Objekt staatlichen Handelns oder als Objekt aktivistischen Verbraucherschutzes. Mit der letztlichen Form als Verbraucherschutz erkennt man auch leicht die Beschränktheit des netzseitigen Narrativs: Der hier formulierte „Menschenschutz“ läuft immer wieder auf den „Datenschutz“ zurück und findet in ihm die einzig mögliche Aktualisierung.

Kommen wir aber zurück auf die geteilte Struktur der Signifikationssystems: beiden ist, wenig überraschend, auch die Aktualisierung in Handlungen gemein. Handle stets so, dass Du dem öffentlichen Interesse entgegen arbeitest. Such Dir einen steuerpflichtigen Job und verschlüssele Deine Daten. Typisch für liberale Gesellschaften zielt die Anweisung nicht mehr darauf, was zu tun, sondern wie es zu tun ist. Diese Arbeitsteilung hat solange funktioniert, wie beide Zentren die „quasi-modalen Schutzinteressen“ wechselseitig anerkennen konnten. Damit konnte sich auch der CCC zu einer in der Außenwirkung staatstragenden Organisation der bürgerlichen Gesellschaft entwickeln. Ob diese Arbeitsteilung weiterhin bestehen kann, hängt allerdings einseitig von der staatlichen Fähigkeit und Bereitschaft ab, die Netzszene und ihre etablierten Vertreter_innen in die öffentlichen Legitimationsmaschinen einzubinden, von denen Verhandlungen in Karlsruhe nur die medienwirksamsten sind.

Schließlich teilen beide die Funktion, Teile des Äußerungsgefüges, das von ihnen nicht positiv unter das eigene Interpretationsregime gebracht werden können, negativ als deviant oder irrational zu markieren. (Dass damit die eigene Position als neutral markiert wird, haben wir oben schon gesehen.) Die negative Markierung erfordert, plakativ gesprochen, mögliche Gesprächspartner_innen vor die Tür zu setzen, sobald sie nicht positiv subsumiert werden können (etwa im Falle der Datenschutzkritik) oder die Form des Äußerungsgefüges kritisieren (etwa im Falle der Sexismuskritik oder sogar im Falle dieses Blogeintrags). Stellt beispielsweise, jetzt netzseitig gedacht, ein Narrativ die Relevanz der Interpretation in Frage, muss dieses Narrativ als Propaganda o.ä. verworfen werden: Stimmst Du mir nicht zu, dann fällst Du auf die Propaganda rein – und wir sind schließlich die Guten. (Als ob wir es geschafft hätten, zu einer Art Banalität des Guten zu gelangen.) Es würde sich lohnen die Korrespondenzen unter den Ausgestoßenen zu kartieren.

Entsprechend braucht es niemanden zu wundern, wenn in bloß auf die Intensität gerichteten Signifikations- und Interpretationssystemen (die eigentliche Form postdemokratischer Diskurssysteme) auch die äußersten Mittel des Kommunikationsabbruchs einander gleichen: Hier wie dort ist es das Pöbeln, wie man netzseitig in so manchem viel gelesenen Blog, staatsseitig in so mancher offen irrationaler oder persönlich angehender Politikeräußerung besichtigen kann.

Die Folgen sind einigermaßen unappetitlich: Es ist zwar richtig, dass die Form netzseitig die staatlich organisierte, folglich zentralistische Form des Signifikations- und Interpretationssystems stellt. Es ist aber auch richtig, dass es die Form bloß reproduziert und sich einer möglichen Reflexion verschließt. Die staatliche Form lässt sich so nicht mehr unterlaufen und der Konflikt degeneriert zu einer bloßen Kraftfrage: Wer hat mehr Geld, den längeren Atem und mehr Personal? Ich fürchte, diese Frage wird für die Netzseite nicht gut ausgehen.

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Ethikkommissionen

Die Geschichte der Ethikkommissionen ist eine Geschichte voller Missverständnisse und auch heute noch glauben viele Bürgerinnen und Bürger, es handele sich nicht um eine Vorfeldorganisation zum Austesten gesellschaftlich akzeptabler Grenzen. Deshalb ist es mir wichtig für die universitäre Philosophie zu sprechen. Denn die universitäre Philosophie bleibt nicht an der Oberfläche wie politische Ethikräte, sondern nicht nimmt das Problem da auf, wo es passiert: im Inneren der praktischen Vernunft.

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Webcam-Pappe

Hm… man sieht ja immer mal Leute, die die Webcam ihres Notebooks mit einer kleinen Pappe abkleben, damit SIE™ ihnen nicht beim Arbeiten zusehen können. Damit müssen sie aber doch zugeben, dass sie es für möglich halten, dass ihr Notebook kompromitiert ist. Gleichzeitig haben diese Leute aber vermutlich kein Problem damit, auf den Maschinen zu schreiben, private Schlüssel dort aufzubewahren und Passwörter einzugeben. Das unterstellt, stellt sich die Frage: Wieso haben sie ein größeres Problem damit, dass SIE™ ihnen ggf. beim Schreiben zusehen können, als damit, dass SIE™ ggf. lesen können, was sie schreiben? Was verstehe ich da nicht?

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Wohl doch kein Panopticon…

Wenig überraschend wurden meine beiden Talks für den 30c3 in Hamburg abgelehnt. (Der eine Einreichungstext befindet sich hier.) Ich bin nicht wirklich enttäuscht, denn eine Annahme hätte ich als ziemliche Überraschung empfunden: Die c3-Einreichungen werden leider seit einigen Jahren immer politischer ausgewählt, während gleichzeitig die üblichen Verdächtigen, die uns schon seit Jahren das gleiche erzählen, stets ins Programm aufgenommen werden. Das mag weniger die technischen, als viel mehr die gesellschaftspolitischen Talks betreffen, schadet hier aber kein bisschen weniger. Der CCC beziehungsweise der c3 scheinen immer weniger in der Lage zu sein, sich inhaltlich mit abweichenden Meinungen zu befassen oder überhaupt das Risiko einer inhaltlichen Diskussion eingehen zu wollen. Den ziemlich bescheuerten, weil komplett inhaltsfreien Umgang mit der Spackeria, zu der ich sicher nicht gehöre, finde ich hier ein deutliches Beispiel. Wie dem auch sei, ich hätte Ende diesen Jahres ohnehin nur mit Mühe die Muße für den 30c3 finden können und fühle mich durch die Ablehnung durchaus von einer Last befreit. Außerdem kann ich meinen Talk noch immer woanders einreichen. Mich frustriert eher, dass auf die unübersehbare Ideologisierung der CCC-Diskussionskultur folgen wird, was auf so eine Entwicklung immer folgen muss: der schlussendliche Bedeutungsverlust.

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Heroes Yet Criminals of the German Computer Revolution

Lange hat es gedauert, aber endlich läuft die Druckmaschine (beziehungsweise: es wird als PDF bereitgestellt):

Denker, Kai: „Heroes Yet Criminals of the German Computer Revolution,“ in: Alberts, Gerard; Oldenziel, Ruth (Eds.): Hacking Europe. From Computer Cultures to Demoscenes, Berlin/Heidelberg (Springer) 2013 [Link]

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Ketzereien

Im Kontext der Seemann’schen Ketzerei sagte ich woanders:

Es ist sicher richtig, dass die Behauptung, Transparenz würde etwas an den Herrschaftsverhältnissen ändern (Macht ist nochmal etwas anderes), völlig naiv ist. Gleichwohl hat Seemann recht, wenn er den Finger in eine bestimmte Wunde legt: Seit den 1980ern wird die Öffentlichkeit seitens datentechnikaffiner Bürgerrechtler mit Überwachungs-, Bedrohungs-, Kontroll- und sonstwas-Szenarien bombadiert. Ununterbrochen finden Aufklärungsversuche statt: Von einem Wau Holland in den tagesthemen der 1980er bis hin zu Kryptopartys und Parteigründungen heute. Der Effekt auf den öffentlichen Diskurs ist zu vernachlässigen und wird bestenfalls in den Feuilletons größerer Zeitungen ausgetragen, ohne von hier aus einen nennenswerten Effekt zu erzeugen.

Diese Diagnose, die Seemann und Konsorten ja stellen, einfach zu negieren, indem dem durchaus „problematischen“ Post-Privacy-Diskurszusammenhang die eigenen Schwächen vordekliniert wird, entlastet aber nur scheinbar davon, die eigenen Voraussetzungen zu hinterfragen. Dass es überhaupt sinnvoll möglich ist, eine Post-Privacy-Position zu vertreten, zeigt, dass dem Privatsphären-Argument die Selbstverständlichkeit abhanden gekommen ist, die dessen Vertreter_innen ihm noch immer andichten wollen. Es bekümmert mich, dass dieses Problems seitens der einschlägigen Aktivisten trotz grandiosen Engagements nicht einfach einmal reflektiert wird.

Kurz: Sicher ist Seemanns Beitrag, trotz richtiger Diagnose, nicht konstruktiv, aber das entlastet nicht seine Gegner davon, konstruktiv mit seiner Diagnose umzugehen. Mir scheint, man möchte Seemann und Konsorten nicht einmal einen kleinen Sieg gönnen und beraubt sich selbst damit des Potentials für kritische Fragen:

Wenn Privatheit so wichtig ist, wieso zur Hölle juckt die NSA dann keine Sau?

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[30c3] Leben wir in einem Panopticon? Wie uns eine elegante Theorie in die Sackgasse führte

Ich habe übrigens einen Vortrag für den 30c3 eingereicht (und hoffe, dass er angenommen wird):¹

Betrachtet man die Programme unserer Kongresse und Tagungen der letzten Jahre, kommt man – wenigstens in den Slots zu Ethik, Gesellschaft und Politik – um einen Begriff nicht herum: das Panopticon. 1791 von Bentham erstmals skizziert und 1976 von Foucault zur Beschreibung moderner Gesellschaften popularisiert scheint das Panopticon das Parademodell für den Typus Überwachungsstaat abzugeben, in dem wir uns seit der immer bizarreren Durchdringung der Informationstechnik durch Geheimdienste und Sicherheitsapparate befinden. Dennoch hat das Panopticon zahlreiche Probleme, die auf unsere postmoderne Gesellschaftsordnung nicht mehr recht zu passen scheinen. Vor allem beantwortet es zwei Fragen nicht befriedigend: Wie kommt es, dass Menschen ihre eigene Unterdrückung wollen? Und was kann man dagegen tun? Kurz: Wenn wir in einem Panopticon leben, wieso ist es dann (fast) allen Menschen egal?

Kommt man mit den bisherigen Überlegungen nicht weiter, lohnt es sich oft, einen Schritt zurück zu machen und eine andere Theorie zu versuchen. Unterstellen wir doch einmal probeweise, die Menschen müssten nicht einfach nur noch weiter aufgeklärt werden. Schließlich haben alle öffentlichen Diskussionen in den letzten Jahren nie zu einem nachhaltigen Aufschrei geführt. Ist es dann nicht vielleicht so, dass wir gar nicht in einem Panopticon leben, unsere Theorie also falsch ist? Und das angenommen, wie können wir die bizarre Situation um uns herum angemessen beschreiben und vielleicht sogar den beiden genannten Fragen näher kommen?

Seitens der Philosophie, aus der das Konzept das Panopticons im späten 18. Jahrhundert hervorging, ist im laufe des 20. Jahrhunderts die Kritik an seinem Begriff immer lauter geworden und es wurden mehrere Vorschläge zu seiner Weiterentwicklung oder gar Ablösung gemacht. In meinem Vortrag werde ich erst den Begriff des Panopticons in seiner Verwendung durch Foucault rekonstruieren und Euch zeigen, wie begrenzt Foucaults Begriff eigentlich ist. Dann werde ich Euch einige alternative Entwürfe vorstellen, wobei ich mich auf den Anfang der 1990er Jahre von Gilles Deleuze – einem französischen Philosophen – vorgeschlagenen Begriff der Kontrollgesellschaft konzentrieren werde. Deleuze schafft es meiner Ansicht nach, zu erklären, wieso so viele Menschen die ständige Überwachung und Dressur nicht nur tolerieren, sondern sogar für sich wollen. Glauben wir Deleuze, dann ist unsere Situation noch schlimmer und noch verfahrener, als wir dachten. Vielleicht kommen wir aber auch der Frage näher, was wir dagegen tun können.

¹ Da das Review nicht blind ist, kann ich Euch auch genauso gut jetzt schon verraten, was ich eingereicht habe.

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Wie ich dann doch kein Idiot wurde (obwohl ich es mir vorgenommen hatte)

Vor einigen Tagen flog Hans-Christian Danys Morgen werde ich Idiot. Kybernetik und Kontrollgesellschaft (Hamburg: Nautilus, 2013) in meine Filterbubble und wollte gelesen werden.

Das Thema ist grundsätzlich erstmal spannend: Welche Reste der Kybernetik tummeln sich im Inneren dessen, was gemeinhin „Kontrollgesellschaft“ genannt wird? Innovativ ist das Thema aber hingegen nicht wirklich: Die Geschichte oder die Nachgeschichte der Kybernetik erlebt immer wieder kurze konjunkturelle Phasen und ihre Restspuren in in die Gegenwart reichenden Diskussionen sind bekannt und mehr oder minder gut untersucht (am deutlichsten vielleicht in der Systemtheorie, aber auch – wenngleich weniger bekannt – in der Differenzphilosophie). Neuveröffentlichungen in diesem Feld sind entsprechend oft Aufgüsse schon bekannter Zusammenhänge oder zunehmend subtile Detailuntersuchungen. Diese Unterscheiden sich von jenen in einem entscheidenden Punkt: Schaffen sie es, über die bloße Feststellung eines Zusammenhangs zur Kybernetik erstens und zweitens über die bloße Skizze der Begrenztheit der Kybernetik hinauszugehen? Danys knapp 130seitiges Büchlein schafft keins von beiden.

Sicher, er versammelt eine illustre Zahl an einschlägigen, fast ausschließlich männlichen Autoren, bleibt hier aber erschreckend konservativ. Außer einigen wenigen Referenzen an postdemokratische, religionsgeschichtliche oder literatische Diskussionszusammenhänge liest sich das Literaturverzeichnis wie die typische Zusammenstellung einer frühen Forschungsskizze: Seitens der Kybernetik treten – unvermeidbar! – Ashby, Deutsch, von Foerster, Klaus, Wiener auf, seitens der klassischen Philosophie neben Heidegger allen Ernstes Kant (Kritik der Urteilskraft) und der frühe Wittgenstein und seitens der neueren Philosophie schließlich die üblichen Verdächtigen auf: Baudrillard, Deleuze, Foucault, Haraway, Serres. Die Liste zeigt schon, dass es weniger um einen Nachweis der eigenen Stichwortgeber_innen, sondern eher um die Demonstration der eigenen Belesenheit (bösartige Deutung) oder der Serviceleistung für weitergehend interessierte Leser_innen geht (freundliche Deutung). Entsprechend erspart der eigentliche Text auch sämtliche Fußnoten, nennt nur an ganz wenigen Stellen einen konkreten Bezugspunkt in der Literatur und liefert ansonsten genau die Anspielungen, die die Kenner_in der Literaturliste natürlich sofort erkennt – eher langweilig: Management-Praktiken, Mobilmachung des Subjekts, …

Die Rekonstruktion der einzelnen Positionen im Text ist wenig innovativ und wirkt eher wie eine flüchtige Dokumentation der eigenen Lektüre-Erfahrung. Ein Beispiel: Der von mir so geliebte Deleuze tritt – wie könnte es anders sein – mit dem „Postskript über die Kontrollgesellschaften“ auf und zwar nur mit diesem. Dass Deleuze in diesem kurzen Text eine ganze Batterie von eigenen Überlegungen und Überlegungen Foucaults, der ausschließlich mit Überwachen und Strafen auftritt, in Anschlag bringt, ignoriert Dany geflissentlich und pickt sich einige einfach verständliche Wendungen heraus: In den Disziplinargesellschaften fängt man immer neu, in den Kontrollgesellschaften wird man nie fertig. Großes Kino, also ich meine die Filmvorschau. Zum Hauptfilm kommt Dany, um im Bilde zu bleiben, einfach nicht. Die gesamte Darstellung der genannten Literatur spielt sich meines Erachtens genau auf diesem Niveau ab: einige verständliche Bemerkungen werden extrahiert und anschließend in einem Text arrangiert, der jene in einen wirren Fluss von allzu gut konstruierten biographisch daher kommenden Anekdoten positioniert. Die Geschichte des Großvaters, der einem Reformgefängnis in Hamburg vorstand, passt zu gut in die Darstellung, während Episoden des Erwachens eher benommen-rauschhaft und entsprechend deplatziert wirken.

All das kommt über die bloße Diagnose eines kaum näher bestimmten Zusammenhangs nicht hinaus: Irgendwie hat die Kontrollgesellschaft etwas von der Kybernetik, aber weder genealogisch, noch systematisch wird dieser Zusammenhang irgendwie klar. Schließlich versagt der Text auch bei dem Versuch, einen Ausweg aus der Kontrollgesellschaft zu skizzieren: Der Idiot, der Privatdenker, soll es sein, der sich der Kontrolle entzieht – von Dany textlich mit einer Traumsituation garniert. Das mag an Deleuze‘ Überlegung, man müsse Vakuolen der Nicht-Kommunikation schaffen, erinnern, springt aber nicht weit genug: Der von Nietzsche inspirierte Empirist Deleuze misstraute dem, was oft einfach „Denken“ genannt wird, schließlich so sehr, dass für ihn die Lösung kaum in einem bloßen Rückzug in ein privates Delirium gelegen haben kann. Dafür sind auch die Anspielungen auf den Kampf und das Schaffen von Waffen bei ihm viel zu deutlich. Wo Dany ansonsten den Idioten als Ausweg aus der Kontrollgesellschaft hernehmen könnte, weiß ich nicht.

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Peer und die Skript-Kiddies

Die SPD in Münster teilt mit:

https://twitter.com/spdmuenster/status/373119930398691328

https://twitter.com/spdmuenster/status/373119930398691328

O-M-G-! Und so jemand will Kanzler werden? Aber gut… erstmal ruhig in eine Tüte atmen und beruhi… buhahahahaha!!!!!!

Nun, was könnte der Herr Steinbrück denn meinen? Er will sich GPG, SSL, Tor, Truecrypt/LUKS, … erklären lassen und dann auch lernen, welche Maßnahmen die Geheimdienste einsetzen, um diese Mechanismen zu brechen? Will er dann auch erfahren, dass diese Maßnahmen wenigstens teilweise legalisiert wurden, als er in der Regierung saß? Nein, bestimmt nicht. Das würde ja zur Selbstkritik führen! – Vielleicht will er auch mit Skript-Kiddies reden, wie man so eine richtig fette DNS Amplification mit einem Botnets gegen nsa.gov machen kann? Vielleicht haben wir ja dann das Glück, dass die USA das als Cyberangriff sehen und uns von der SPD befreien? …

Sorry, Peer, Du hast einfach keine Ahnung. Da hilft auch Dein Anbiedern nichts…

PS: Einige auf Twitter vermuten, es handele sich um einen Fake. Die SPD in Münster stellt klar:

https://twitter.com/spdmuenster/status/373146235169165312

https://twitter.com/spdmuenster/status/373146235169165312

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Ist Gödel Gott?

Eigentlich wollte ich dieses Paper ja ignorieren, aber da mich zwei Freunde darauf angesprochen haben, schreibe ich doch etwas über diesen „Gottesbeweis“. Gemeint ist das zweiseitige Paper „Formalization, Mechanization and Automation of Gödel’s Proof of God’s Existence“ von Christoph Benzmüller und Bruno Woltzenlogel Paleo, dem die Telepolis auch ein Interview gewidmet hat.

Die Autoren behaupten, sie hätten Gödels (ontologischen) Gottesbeweis mit einem bisher nicht erreichten Grad „of detail and formality“ mittels einem Theorembeweisers untersucht. Akzeptieren wir das, auch wenn es sicher mehr über Gödels Beweis zu sagen gäbe als zwei Seiten. Und hinterfragen wir auch nicht die Rolle von Theorembeweisern, auch wenn es seitens radikaler Auffassungen platonischer Mathematiker dazu sicher das ein oder andere zu sagen gäbe. Unterstellen wir auch, die Autoren hätten sonst keinen Fehler gemacht.

Was haben sie dann bewiesen? Jedenfalls nicht, dass Gott existiert, sondern dass aus den von Gödel postulierten und von Dana Scott formalisierten Voraussetzungen (Axiome und Definitionen) Gödels tatsächlich die Konklusion folgt, dass Gott notwendigerweise existiert. Es handelt sich also nicht ein apodiktisches, sondern um ein hypothetisches Urteil: Gott existiert notwendigerweise dann, wenn die Voraussetzungen zutreffen. Ob die Voraussetzungen zutreffen, ist nicht Gegenstand des Papers, von Gödels Beweis oder des Telepolis-Interviews. Doch was sind die Voraussetzungen, die zutreffen müssen, damit Gott beweisbar existiert? Unter anderem diese (Ich habe die Folgerungen weggelassen und nur der Lesbarkeit halber, einige Umformulierungen vorgenommen. Im Zweifel gilt der Originaltext):

  • Axiom 1: Eine Eigenschaft ist entweder positiv oder seine Negation ist positiv. „positiv“ bezeichnet dabei nicht einen Wahrheitswert, sondern ein Prädikat, wie es im ursprünglichen ontologischen Gottesbeweis auftritt.
  • Axiom 2: Eigenschaften, die von positiven Eigenschaften impliziert werden, sind positiv.
  • Definition 1: Eine Entität, die die Eigenschaft Gott-artig hat, besitzt alle möglichen positiven Eigenschaften.
  • Axiom 3: Die Eigenschaft, Gott-artig zu sein, ist positiv.
  • Axiom 4: Alle Eigenschaft, die positiv sind, sind notwendigerweise positiv.
  • Definition 2: Die Essenz eines Individuum ist eine Eigenschaft, die ihm zukommt und die jede Eigenschaft des Individuum notwendigerweise impliziert.
  • Definition 3: Die Eigenschaft der notwendigen Existenz eines Individuums implizit notwendigerweise, dass alle seine Essenzen der Fall sind.
  • Axiom 5: Die Eigenschaft der notwendigen Existenz ist eine positive Eigenschaft.

Hinzu kommt die Voraussetzung („Axiom 0“), dass die Logik KB geeignet ist, um ontologisch valide Aussagen über das Universum zu machen. D.h., dass angenommen werden muss, dass das Universum ein Modell der Logik KB sein muss. Das ist nicht trivial, da es ja durchaus sein könnte, dass das Universum eigentlich überaus wirre Eigenschaften hat, während es bloß logisch in den Bereichen ist, die wir uns bisher angesehen haben. Bösartig gesagt unterliegt auch die Logik der Notwendigkeit einer Bewährung(, aber darüber werde ich mich nicht streiten).

Schauen wir uns also die Axiom 0-5 an. Es ist sofort klar, dass jeder Satz einen großen ontologischen Aussagegehalt hat, d.h. dass er starke Behauptungen darüber aufstellt, welche Eigenschaften das Universum hat, und es dürfte auf der Hand liegen, dass wir damit schon weit außerhalb dessen sind, was wir wissen können. Es geht schon damit los, dass die Behauptung, aus positiven Eigenschaften folgten nur positive Eigenschaften, ziemlich heikel ist, sofern man unter positiv eine Art Wertzuschreibung verstehen möchte. Es muss dann objektive Werte geben, die eine bestimmten Struktur gehorchen. Die formale Logik muss sich darum natürlich nicht kümmern, sondern schließt dieses Problem in der Formalisierung aus: An der Stelle von positiv kann im Beweis jede andere Eigenschaft stehen. In Frage kommt z.B. die Eigenschaft rachsüchtig. 😉

Wird also zurecht wegen des Papers laut gegackert? Nein. Die Forschung an Theorembeweisern ist wichtig und spannend, keine Frage. Aber auch hier ist das Paper wenig ergiebig, da es nur sagt, was gemacht wurde, aber nicht wie es genau gemacht wurde. Ich bin kein Experte für Theorembeweiser und kann daher nicht beurteilen, wie revolutionärneu die eingesetzten Techniken sind, die das Paper referenziert. Wie dem auch sei: Theorembeweiser bewegen sich innerhalb formaler Systeme und können daher eben nur Aussagen über formale Systeme treffen. Ontologische oder andere philosophische Probleme sind damit noch gar nicht berührt. Entsprechend gering ist daher auch der Aussagegehalt des Papers für die Philosophie: Wir wissen nun, dass in der KB-Logik Gödels Beweis folgerichtig ist, aber ob der Beweis ontologisch wahr ist, wissen wir kein bisschen mehr als vorher. Die einzige Sicherheit, die hinzugekommen ist, ist, dass Gott in einem hinreichend wirren Universum, nämlich in einem Universum, das die geforderten Axiome erfüllt, notwendigerweise existiert. Ob unser Universum hinreichend wirr ist, wissen wir nicht.

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