Die verdiente Regierung

Die Stadt Darmstadt stellt gerade entlang der Hauptverkehrsstraßen in relativ großer Dichte neue Blitzer auf. Ich finde das insofern gut, als dass ich an so einer Straße wohne und seit Jahren irgendein (vermutlich männlicher) Sportwagenfahrer fast jede Nacht wie eine besengte Sau durch die Stadt rast, die Leute aufweckt und vermutlich nur dank einigen Glücks noch niemanden umgenietet hat.

Andere Darmstädter finden die neuen Blitzer weniger gut und toben sich auf einschlägigen Facebook-Seiten wund. Von modernem Raubrittertum ist die Rede, von der Verschwendung von Steuergeldern, von Frechheiten gegenüber der armen Bevölkerung und – man lese und staune – von gefährlichen Eingriffen in den Straßenverkehr: Es verhalte sich nämlich so, ließ uns eine offenbar leicht verwirrte junge Frau wissen, dass nun die Menschen, die nicht gut autofahren könnten, besonders vorsichtig fahren und Ausschau nach Blitzern halten würden und daher nicht mehr auf die Straße achteten. Mir ist noch immer unklar, wie viel Schwermetall sich in einer Großhirnrinde ansammeln muss, um sich zu trauen, so einen Mumpitz öffentlich zu schreiben, aber gut…

…auffällig ist, dass die gleichen Leute grob zwei Wochen vorher auf der gleichen Facebook-Seite allesamt nichts zu verbergen hatten, insbesondere da ja alles nach Recht und Gesetz ablaufe, sowieso alles überwacht würde und außerdem die NSA ja niemals so viele Analysten beschäftigen könnte, um alle E-Mails zu lesen. (Fachliche Einwände von anwesenden Informatikern, die auf algorithmische Auswertungsmöglichkeiten hinwiesen, wurden als Science Fiction abgetan.)

Nun, Darmstädter machen also keine Ausnahme: Egal wie tief ein Geheimdienst ihnen ins digitale Arschloch kriecht, es hat niemand was zu verbergen. Aber sobald ein paar Blitzer aufgestellt werden, haben wir Revolution. Bei so viel zerebraler Schwermetallvergiftung stimmt der Satz, jedes Volk bekomme die Regierung, die es verdiene, nicht: Wir haben es noch viel zu gut getroffen.

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Der homosexuelle Spießer und sein Publikum

Warum feiern wir eigentlich CSDs? Die Frage ist ernst gemeint. Natürlich kenne ich die Geschichte der CSDs. Das ist nicht der Punkt. Eher macht es meine Frage noch dringender: Warum feiern wir ein spießiges Familienfest, auf dem Lederkerle und Dragqueens nicht zu unserer Familie gehören, sondern exotische Randfiguren sind, die wir bestenfalls auf Bühnen lustig finden und uns immer ganz schnell versichern, dass die meisten Schwulen ja ganz durchschnittlich sind?

Wann genau ist das passiert, dass die schwulen Spießer begannen, auf die extremen Figuren unserer Familie herabzusehen und in ihnen ein Hindernis zu sehen? Sollte man solche CSDs feiern? Die Antwort muss wohl „nein“ lauten.

Gestern war der dritte Darmstädter CSD. Erst eine kleine Parade mit Zwischenkundgebung auf dem Luisenplatz und dann ein Straßenfest auf dem Riegerplatz. Ein hübsches Fest, aber einem CSD unwürdig.

Wieso? Lasst mich ein Beispiel herausgreifen. (Hinter den Kulissen ist noch eine viel viel größere schwule Spießerschweinerei gelaufen, aber ich möchte das im Moment nicht öffentlich thematisieren.) Das Beispiel das ich herausgreifen möchte, ist die sicher gut gemeinte, aber schlecht gemachte Rede eines Vereinsvorstands auf der Zwischenkundgebung:

Dieser lieferte nämlich eine Rede, die am besten mit einigen Einwänden zu beantworten ist, aus denen sich die Leser_in dann gerne das Weitere zusammenreimen kann. (1) Grundrechte für Schwule und Lesben hängen nicht davon ab, ob wir nette Menschen sind. Auch als übelste Kotzbrocken stünden uns alle Rechte zu. Das stimmt sogar (2) noch, wenn wir nachweislich schlecht fürs Wirtschaftswachstum wären. (3) Das Recht auf eine Öffnung der BGB-Ehe für die, die sich diesem repressiven System unterwerfen wollen, hängt nicht daran, ob Schwule und Lesben sich einander genauso lieben können wie Heteros. Selbst wenn wissenschaftlich zweifelsfrei belegbar wäre, dass wir uns einander immer nur halb so stark lieben wie die Heten, stünde uns dieses Recht zu. (4) Die Frage nach dem vollen Adoptionsrecht hängt nicht daran, ob Schwule gute Väter sein können. Die Frage darf überhaupt nicht von der sexuellen Orientierung abhängen, sondern nur und nur davon, ob die Menschen, die sich um eine Adoption bemühen, geeignet für das in Frage kommende Kind wären. Selbst wenn Schwule und Lesben im Durchschnitt schlechtere Eltern wären (Konjunktiv), dürfte ihnen nicht mit Verweis auf die sexuelle Orientierung die Adoption verwehrt werden, sondern es müsste eine Prüfung unabhängig davon stattfinden. Gegen den Ausschluss bestimmter sexueller Orientierungen hilft es nicht, diese Orientierung für gleichwertig zu erklären, sondern die Abschaffung dieses Entscheidungskriteriums zu fordern. Dazu müsste man allerdings des Nachdenkens willig sein. (5) Stünde uns all das auch dann zu, wenn alle Schwulen Dragqueens oder Lederkerle wären und es muss der Prüfstein unserer Bewegung sein, ob wir auch deren Rechte noch gemeinsam fordern können, anstatt sie im Interesse der Spießerschwuchteln verschwinden zu lassen. Überhaupt (6) die Werte! Es ist völliger Bullshit, Rechte mit Verweis auf Werte einzufordern. Wir haben die vollen Rechte auch dann noch verdient, wenn wir keinen einzigen Wert der Heten teilen würden. Unsere Rechte hängen nicht daran, ob wir eine billige Kopie der Heten sind, sondern sie kommen uns schlicht qua Menschsein zu. So wie dieser Vereinsvorsitzende hingegen argumentierte, verkaufte er einen Rückfall in die homophile Politik der 1960er Jahre. Ein völliger Verlust jedes kritischen oder emanzipatorischen Potentials! Die bestehenden Verhältnisse werden ohne jede Kritik als die guten und richtigen affirmiert und die Lebensweise der Heten wird zum heiligen Vorbild gemacht. Ein abscheuliches Armutszeugnis wurde uns da verkauft und eine völlige Entsolidarisierung mit den Randgruppen in den Randgruppen.

Rosa von Praunheim brachte es 1971 gekonnter auf den Punkt:

Da die Schwulen vom Spießer als krank und minderwertig verachtet werden, versuchen sie noch spießiger zu werden, um ihr Schuldgefühl abzutragen mit einem Übermaß an bürgerlichen Tugenden. Sie sind politisch passiv und verhalten sich konservativ als Dank dafür, dass sie nicht totgeschlagen werden. Schwule schämen sich ihrer Veranlagung, denn man hat ihnen in jahrhundertelanger christlicher Erziehung eingeprägt, was für Säue sie sind. Deshalb flüchten sie weit weg von dieser grausamen Realität in die romantische Welt des Kitsches und der Ideale. Ihre Träume sind Illustriertenträume, Träume von einem Menschen, an dessen Seite sie aus den Widrigkeiten des Alltags entlassen werden in eine Welt, die nur aus Liebe und Romantik besteht. Nicht die Homosexuellen sind pervers, sondern die Situation, in der sie zu leben haben.

Während der Rede, als ich mich halblaut beklagte, drehte sich ein Typ, den ich nicht kannte, zu mir um und fragte, warum ich dieses Jahr keine Rede gehalten hätte. Meine Rede vom letzten Jahr sei doch viel besser gewesen, so inhaltlich. Ich bin mit meinem Ärger offenbar nicht allein.

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Supersicherheitsgrundrecht

Heise hat sich auf die Spurensuche nach dem Begriff des Supergrundrechts „Sicherheit“ begeben und mit Josef Isensee einen konservativen Staatsrechtler ausgegraben, der ein Grundrecht auf Sicherheit schon in der Virginia Bill of Rights gefunden haben will, einem Verfassungsdokument aus der Zeit der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung, also aus dem späten 18. Jahrhundert. Laut Müllhalde heißt es dort in Artikel 3:

That government is, or ought to be, instituted for the common benefit, protection, and security of the people, nation or community; of all the various modes and forms of government that is best, which is capable of producing the greatest degree of happiness and safety and is most effectually secured against the danger of maladministration; and that, whenever any government shall be found inadequate or contrary to these purposes, a majority of the community hath an indubitable, unalienable, and indefeasible right to reform, alter or abolish it, in such manner as shall be judged most conducive to the public weal.

Interessant ist, dass in diesem Ausschnitt sowohl das Wort „security“, als auch das Wort „safety“ auftreten, die beide in der Übersetzung mit „Sicherheit“ angegeben werden, da – anders als das Englische – das Deutsche hier nicht zwischen einer „Angriffssicherheit“ (security) und einer „Betriebssicherheit“ (safety) unterscheidet. security tritt zweimal im Text auf: einmal als Aufgabe der Regierung, das andere mal als Schutz gegen die Regierung. Schon hier ist die Figur der Sicherheit in der Virginia Bill of Rights also gebrochen und tritt in zwei verschiedenen Bedeutungen auf. Ebenso das Wort safety, das einmal im Text auftritt und nicht den Schutz gegen Bedrohungen bezeichnet, sondern sich auf die Zuverlässigkeit der Lebensverhältnisse im Sinne einer Stabilität bezieht. Gemeint ist also eher etwas wie soziale Sicherheit, eine stabile Einkommensquelle zu haben etc.

Wenn das „Supergrundrecht“ irgendwo also auf so alte Rechtsquellen hinauslaufen können soll, wie konservative Autoren vielleicht nahelegen wollen, um sich einen Fremdkörper im deutschen Verfassungssystem herbeizufabulieren, dann muss man ihnen die zwei weiteren Sicherheiten entgegenhalten, die ebenso aus diesen Quellen folgen müssen:

  1. die Sicherheit der Bevölkerung vor einer schlechten Regierung, die nicht mehr im Interesse des Volkes handelt, sondern die eigenen postdemokratischen Interessen verfolgt und
  2. die Sicherheit der Lebensverhältnisse im Sinne einer Stabilität, die das Glücksstreben kennt und nicht Menschen immer mehr in prekäre Lebensverhältnisse bringt.

So gesehen ist es vielleicht eine dumme Idee, wenn sich konservative Autoren auf Dokumente berufen, die in einem Freiheitskampf gegen monarchische Herrschaft nur das Vorspiel zu einer Revolution waren: Man könnte versucht sein, den dritten Artikel dieses Dokuments ganz zu lesen und darüber zu befinden, ob diese Regierung nicht entgegen den Interessen des Gemeinwesens handele und daher geändert werden solle.

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Die EKD mag keine Schwulen und Lesben

Man lese und staune:

This message was created automatically by mail delivery software.

A message that you sent could not be delivered to one or more of its recipients. This is a permanent error. The following address failed:

„internet@ekd.de“:
SMTP error from remote server after transfer of mail text:
host: mail.ekd.de
5.7.1 MAIL VERSTOESST GEGEN EMPFAENGER-SICHERHEITSRICHTLINIE / email was rejected because it violates our security policy
5.7.1 Found prohibited words in the mail: gay, lesbian
— The header of the original message is following. —

Received: …
From: Kai Denker <…>
To: internet@ekd.de
Subject: Testmail gay lesbian
Date: Fri, 17 May 2013 15:58:06 +0200
Message-ID: <1882037.u5YdfAiUKp@deleuze>

Update vom 22. August 2013: Spontan nochmal probiert und offenbar werden diese Wörter nun nicht mehr gefiltert. Es gibt bestimmt noch eine ganze Menge weiterer Randgruppen, die als Sicherheitsrisiko eingestuft werden. Vielleicht mag das ja mal jemand testen.

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Die unhöfliche Übersetzung

Ich habe mir für dieses Wochenende vorgenommen, Deleuzens Proust und die Zeichen (zuerst 1964 als Proust et les signes) zu lesen. Da mein Französisch nicht ausreicht, um solch einen Text schnell zu lesen, da ich ständig etwas nachsehen müsste, habe ich mich für Henriette Beeses Übersetzung entschieden, die 1993 im Merve-Verlag erschienen ist. Wie zu erwarten war, zitiert Deleuze ständig Proust (es ist ja schließlich ein Buch über Proust!), aber leider hat Beese sich dagegen entschieden, die teils länglichen Zitate in der deutschen Übersetzung im Fließtext anzugeben, sondern diese nur in den Endnotenapparat aufnehmen. Ich darf also ständig blättern.

Eine Frage drängt sich auf: Mal davon abgesehen, dass ich mein Französisch wirklich aufpolieren sollte, ist es dann nicht trotzdem unhöflich, eine Übersetzung so zu arrangieren? Wenn ich Französisch halbwegs mühelos lesen könnte, wieso sollte ich dann nicht gleich den Originaltext lesen? Ich ärgere mich über Beese, aber auch über den achtlosen Verlag etwas. Lesen werde ich das Buch trotzdem, aber eben mit unnötiger Mühe.

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Twitter ist nicht totalitär, Du Honk!

Anscheinend springen schnell noch einige auf den abfahrenden Lauer-Zug auf und schimpfen auf Twitter. Besonders lustig (und fabelhaft falsch) finde ich ja Katrin Rönickes Rant, dass Twitter wie die DDR sei. Das klingt lustig und interessant, ist aber leider ziemlicher Blödsinn.

Von einigen anekdotischen Bemerkungen abgesehen scheint mir Rönickes Argument darauf hinauszulaufen, dass die Diskursformation auf Twitter abweichende Meinungen sanktioniere und daher totalitär (=DDR) sei. Akzeptieren wir die Behauptung, die DDR sei totalitär gewesen, unhinterfragt, obgleich sie, wenngleich wahrscheinlich grob richtig, eine ziemlich unterkomplexe Beschreibung der Herrschaftsformen im DDR-Sozialismus darstellt. Es bleibt also zu zeigen, dass die Sanktionierung von Meinungen auf Twitter totalitär ist.

Nun, dieser Versuch scheitert: Für die Totalität fehlt die totale ideologische Konstitution einer gemeinsamen Idee von der materialistisch-historisch aufgeladenen Revolution der Arbeiterklasse o.ä. – Die Herstellung von Totalität in einer Diskursformation hängt aber genau am Vorhandensein einer totalitären Ideologie, die sich in den einzelnen Aussagen ihrer Anhänger bloß aktualisiert. Was prima facie totalitär erscheint, muss aber nicht notwendig im engeren Sinne totalitär sein. Tatsächlich beschreibt Rönicke auch keine Totalität, die die ganze Diskursformation auf Twitter erfasst, sondern umkreist ein nur anekdotisch verankertes Problem. Totalität hat seine Wurzel im lateinischen: „totus“ bedeutet „ganz“. Damit kann es in der lokalen Filterblase sicher totalitäre Ideologien geben, die abweichende Meinungsaktualisierung sanktioniert, aber damit ist noch lange keine Aussage über alle Aussagen auf Twitter und schon gar keine Aussage über Twitter selbst erbracht. Würde dieses Argument funktionieren, dann wäre die Menge der natürlichen Zahlen nämlich prim und insbesondere alle natürlichen Zahlen selbst wären prim, denn schließlich gibt es unendlich viele konkrete einzelne Primzahlen: von den Eigenschaften einer Teilmenge ist aber weder auf die Extension der Grundmenge noch gar auf die Intension derselben zu schließen.

Stattdessen ist Twitter vom Totalitären maximal weit entfernt. Twitter bildet etwas, was man als ein fragmentarisches Ganzes charakterisieren kann. Es gibt keine durchgehende Diskursformation, sondern es gibt je lokale Diskursformationen, die lokal sicher totalitär sein können. Nun, man kann auch einfach die falschen Freunde haben. Die korrekte Beschreibung ist daher nicht die Totalität, sondern die Meute. Die übergreifende (Familien)Ähnlichkeit der Twitter-Diskursformationen findet sich allenfalls im Konzept der Meute, das ohne gemeinsame Regel auskommt. Es ist eine Ansammlung (keine Versammlung!) von Benutzer*innen, die nicht auf der Basis von Argumenten oder Ideen, sondern auf der Basis von Affekten operieren: Interessant ist, was über die Bewusstseinsschwelle kommend aus dem schnellen Strom der Tweets heraus einen Affekt auslöst, der beispielsweise belustigen oder empören kann. Das ist aber nichts besonderes für Twitter mehr. Twitter macht es nur besonders offensichtlich. Die Meute, die sich von Argumenten zugunsten von Affekten verabschiedet hat und von diesen treiben lässt, ist auch die Meute, die Blogs liest und von einer Aussage wie „Twitter ist totalitär!“ empört wird, um darauf zu reagieren – etwa mit einem gezielten „Du Honk!“ Das Kesseltreiben der Meute könnte aber nicht weiter entfernt sein von der Inszenierung Orwells oder der Planung eines DDR-Zentralkomitees. Sowas sollte man™ eigentlich wissen.

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Telefo-nie

Ich habe gerade von einem Kollegen erfahren, dass unser Bürotelefon gestört ist und daher seit Montag Anrufe an uns nicht durchgehen. Drei Bemerkungen:

  1. Ich bin so faul, dass ich es nicht gemerkt habe.
  2. Ich bin so unwichtig, dass es ich es nicht gemerkt habe.
  3. Es war angenehm ruhig im Büro.
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Was völlig falsch ist, wird wieder wahr

Ich glaube, ich bin auf einen Argumentationstrick gestoßen, der mir bisher so nicht klar war:

Da kaum jemand beim Lesen von Texten auf den argumentativen Zusammenhang achtet, brauchst Du auch nicht zu argumentieren, sondern bloß die äußere Form des Arguments einzuhalten. Hierdurch kannst Du eine beliebige Folgerung in eine beliebige Folge von Sätzen einbinden. Willst Du nun eine politisch motivierte Behauptung (z.B. dass die Evolution eine Lüge ist) verteidigen, dann behaupte nur, dass sie aus der Folge der übrigen Sätze ableitbar ist, arrangiere aber in die übrigen Sätze einen Unsinn der folgenden Art: Der Unsinn muss der Form nach klug klingen, muss dem Laien aber völlig unverständlich sein. Der Unsinn muss so ein dermaßen bizarrer Unsinn sein, dass daran nichts wahr oder richtig ist. Er muss wirklich völlig falsch und aus fachlicher Sicht geradezu abwegig sein. Dabei behaupte beständig, dass Wissenschaftler, die Dir nicht zustimmen, dies aus ideologischen Gründen nicht tun, ja, dass sie überhaupt schlimme Ideologen sind, die die Wahrheit unterdrücken wollen. (Vielleicht kann man einen von ihnen noch sinnentstellend zitieren?) Wenn nun ein Wissenschaftler Deine Unsinns-Sätze als solche bezeichnet, werfe ihm vor, er sei ideologisch und verwerfe Deine Rede nur deshalb völlig, weil er sich nicht im einzelnen damit beschäftigen wolle. Mit etwas Glück wird der Wissenschaftler darauf sogar böse reagieren. Für das Publikum hast Du dann bewiesen, was für ein Arschloch der Wissenschaftler ist und da nur Arschlöcher die Wahrheit bezweifeln, die Du so gekonnt abgeleitet hast, muss Deine Behauptung stimmen.

Man könnte diese Methode vielleicht auch Beweis durch provokativ verkauften hirnzerfräsenden Dünnschiss nennen und sie ist in der Esoterik sehr beliebt.

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Wenn ich nie gechattet hätte…

Christopher Lauer lässt uns via FAZ wissen, dass er Twitter nicht mehr benutzen mag. So ein Kummer! Lustig ist aber seine Begründung, nämlich wie viele Gastbeiträge für Tageszeitungen er hätte produzieren können, hätte er nicht getwittert.

Ich habe vor einigen Monaten mal ausgerechnet, was ich hätte an Büchern veröffentlichen können, wenn mein gesamter Mist, den ich ins IRC schreibe, stattdessen in solche Bücher geschrieben worden wäre. Ich schätzte, dass ich schon ein gutes Dutzend mittelgroßer Monografien produziert hätte. Wenn ich mir dann aber überlege, was für einen Bockmist ich in meinem Leben schon im IRC von mir gegeben habe, wird mir klar, dass wohl niemand diese Bücher gelesen hätte. Und dann kann man sich auch überlegen, von welcher Qualität Lauers Gastbeiträge gewesen wären, wenn seine Tweets dahin gegangen wären.

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Dein Gehirn, ein Prozessor

Dieser Artikel hier (leider hinter einer Paywall) hat mich ja gestern sehr überrascht. reCAPTCHAs sind ja ein alter Hut, allerdings war mir duolingo.com nicht bekannt. Bei duolingo.com lernt der Benutzer eine Sprache und macht gleichzeitig Übersetzungsarbeit, die seitens der Firma dann verwertet werden. So wie man bei reCAPTCHA mithilft, Bücher zu digitalisieren und sich gleichzeitig als Mensch ausweist, hilft man bei duolingo.com, das Web zu übersetzen und lernt (in der Theorie) zugleich eine Sprache.

So formuliert, klingt das harmlos. Aber der Artikel schlägt vor, diese Systeme als ein verallgemeinertes Berechnungsmodell aufzufassen, bei dem Gehirne Teilprobleme berechnen, die für Computer (noch) zu schwer sind. Gehirne sind dann Komponenten verteilter Systeme und das finde ich so naheliegend wie erschreckend.

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