Der Herr der Maschinen

Ich muss gerade daran denken, wie ich mich mal über eine sehr sehr dumme Bemerkungen über den Windows-Update-Mechanismus in einem Text, von dessen redaktioneller Betreuung ich nicht unendlich weit entfernt war, beklagte, aber nicht erhört wurde. Ich muss auch daran denken, wie mal jemand auf einer Veranstaltung aus dem Publikum fragte, ob man zulassen solle, dass Windows Updates einspiele, man wisse doch gar nicht, was da durch die Leitung komme. Es wäre doch gewiss sicherer, Updates abzulehnen.

Ein wesentliches Problem an Updates ist nicht, dass es sie nicht oder nicht rechtzeitig gäbe, sondern das sie die hochnotbescheuerte Fiktion durchbrechen, man beherrsche auch nur Ansatzweise, was auf der Maschine stattfindet. Da der Technikpessimismus in seinen dümmlicheren Formen das Problem mit der Technik auf ein triviales Autonomie-Problem reduziert, verhindert er einen differenzierten Umgang mit dem Problem und setzt an die Leerstelle, an der eine gute Lösung sein sollte, einen Cargo-Cult, in dem die sachliche Entscheidung durch die alternativ-sachliche Entscheidung ersetzt wird: Ich beherrsche die Maschine, ich lehne Updates ab! Sie gehorcht, also beherrsche ich sie und nicht sie mich. – Dass das an Impfkritik erinnert, ist kein Zufall.

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Deutscher Hochschulverband goes AfD?

Der Deutsche Hochschulverband hat eine Resolution zur Streit- und Debattenkultur an deutschen Universitäten verabschiedet. Es geht, wenig überraschend, um die „Political Correctness“. Man ist besorgt, dass die freie Welt der Debatten- und Streitkultur an den Universitäten erodiert, weiß aber glücklicherweise genau, wer daran Schuld hat: Es ist das Streben nach Toleranz, das auf die Forderung nach „Political Correctness“ hinausläuft. Wissenschaftlich, wie man es von einem Hochschulverband erwarten darf, gönnt uns die Pressemitteilung des Hochschulverbands zunächst keine Definition, sondern beschränkt sich auf das bekannte Geheul gewisser rechter Parteien: Sicher sei das Anliegen, einen sensiblen Umgang mit Minderheiten zu pflegen, berechtigt, erklärt man uns, bevor man aber das Wasser nicht mehr halten kann und das Lieblingswort aller neuen Rechten in den Mund nimmt: „Tugendterror“, der es nämlich sei, in dem abweichende wissenschaftliche Meinungen als unmoralisch stigmatisiert würden, womit jede konstruktive Auseinandersetzung bereits im Keim erstickt werde, was zu Feigheit und Anbiederung führe. – Das jenseits von Feigheit und Anbiederung der Mut zur Wahrheit liegt, sei hier nur als Korollar notiert. – Entsprechend sind auch die Studierenden als Schuldige auszumachen, die im Land des großen Sittenverfalls – den USA nämlich – eine „Deutungshoheit für vermeintlich politisch korrekte Lehrinhalte“ reklamierten. Diese Studierenden dürfen, so viel ist wohl klar, nicht als Studierende bezeichnet werden. Die, die sich gegen den hier wie dort an den Universitäten grassierenden (Hetero-)Sexismus wehren, sind, so stellt die Pressemitteilung klar, „studentische Aktivisten“. Damit niemand auf die Idee kommt, der Wunsch von Studierenden, an den Universitäten respektiert zu werden, brauche uns in unserer Komfortzone nicht zu stören, da es ja bloß ein amerikanisches Phänomen sei, informiert uns der Hochschulverband sicherheitshalber, dass es bereits erste Anzeichen auch hierzulande gäbe und damit wir nicht vergessen, in welcher Gefahr die deutschen Universitäten schweben, sind diese Anzeichen: „alarmierend“. Und alarmierend sind diese Anzeichen tatsächlich, denn schließlich würden Wissenschaftler durch Proteste gehindert, in Universitäten aufzutreten und ihre wissenschaftlichen Thesen vorzutragen, so erklärt man uns, und zwar lediglich da sie einer „Political Correctness“ zuwider liefen. Nun muss freilich klargestellt werden, dass das berechtigte Anliegen, an den Universitäten respektiert zu werden, durch die „studentischen Aktivisten“ „in das Gegenteil“ verkehrt würde, denn diese „Political Correctness“ ist: „selbst definiert“. Dies ist in der Tat ein grauenhafter Vorwurf, der klarmacht, warum die „Political Correctness“ bereits von vornherein keinerlei Kredit besitzt, denn schließlich ist nichts schlimmer als eine selbst gemachte Definition. Bekanntlich dürfen nur natürliche Definitionen, wie man sie etwa wohl in Bergwerken findet, neben den Definitionen, die man der Tradition entnimmt, also artig und mit Quellennachweis wiederholt, anerkannt werden. Man mag sich nicht ausdenken, was mit der „Universität als Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden“ geschehen würde, wenn diese nicht „ein Ort des freien und offenen Meinungsaustausch“ bliebe, sondern durch „studentische Aktivisten“ und ihren „selbst definierten“ Vorstellungen mit „Denk- und Sprechverboten“ durchsetzt würden. Entsprechend, so erfahren wir, dürfte es für Studierende keine „geistigen oder ideologischen Komfortzonen“ an den Universitäten geben, denn schließlich verlange das „kritische Denken, das an der Universität gelehrt und eingeübt wird, … die Fähigkeit zur Selbstkritik“. Wer eine Universität betrete, müsse bereit sein, so heißt es weiter, „mit Vorstellungen konfrontiert zu werden, die dem persönlichen Weltbild zuwiderlaufen, und in der Lage sein, sich mit ihnen sachlich auseinanderzusetzen“. Es ist erfreulich, dass der Deutsche Hochschulverband so deutlich darstellt, dass all dies auch grammatikalisch nur für Studierende gilt, die offenbar nur dann Studierende sind, wenn sie die Herren und Damen Professorinnen und Professoren nicht in ihrer geistigen oder ideologischen Komfortzone stören, sondern akzeptieren, dass die Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden nur dann ein Ort des freien und offenen Meinungsaustausch sein kann, wenn diese artig die Klappe halten und nicht an den Definitionen jener zweifeln. Schließlich gilt: „Die Antwort auf die einseitige, pointierte, vielleicht auch verzerrende Rede ist nicht das Ende der Debatte, sondern die angemessene Gegenrede“, was aber als angemessene Gegenrede durchgeht und was zu Denk- und Sprechverboten, zu Tugendterror, zur Stigmatisierung (der Professorinnen und Professoren, denn um die Stigmatisierung irgendwelcher Minderheiten geht es hier ja nicht!), zur Feigheit und zur Anbiederung führt, das dürfen freilich nicht die „studentischen Aktivisten“ selbst definieren. Es wäre wahrlich ein alarmierendes Anzeichen, wenn nicht mehr Professorinnen und Professoren entscheiden dürfen, was andere erträglich zu finden haben.
Ich weiß nicht, was den Ausschlag gab, eine derartige Resolution zu verabschieden. Waren es vielleicht die Proteste, in denen „studentische Aktivisten“ den bestimmt hochwissenschaftlichen Beitrag eines rechtsradikalen Apparatebauers verhinderten, der von bekannten gewaltbereiten Rechtsextremisten begleitet seine sicher einer sachlichen Auseinandersetzung auf jede Weise würdigen Thesen aus seinem Fachgebiet – der Genderforschung nämlich – dem freien und offenen Meinungsaustausch zuführen wollte? Zeugt es von Tugendterror studentischer Aktivisten, wenn sie Formulierungen wie „Linksextreme Lumpen sollen und müssen von deutschen Hochschulen verbannt und statt eines Studienplatzes lieber praktische Arbeit zugeführt werden. … Nehmen Sie die linksextreme Bedrohung ernst und beteiligen Sie sich an allen möglichen Maßnahmen, um diese Wucherung am deutschen Volkskörper endgültig loszuwerden.“ an ihrer Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden verhindern wollen? Zeugt es von Charakterschwäche, wenn Minderheiten, die sich mühsam ihre Rechte erkämpfen mussten, derartige „konkurrierende Meinungen“ nicht respektieren und aushalten wollen? Zeugt es von Linksextremismus, wenn Studierende, pardon: „studentische Aktivisten“ sich hier solidarisch erklären? Oder zeugt es von einer Störung des moralischen Kompasses und zwar nicht auf Seiten der Studierenden?
Wie sollen wir hierauf antworten? Glücklicherweise weiß der Hochschulverband Rat und lässt uns durch seinen Präsidenten wissen: „Differenzen, die zu Andersdenkenden bestehen, sind im argumentativen Streit auszutragen.“ Was könnte uns helfen, die Differenzen, die wir hier empfinden, in einem argumentativen Streit auszutragen? – Wie so oft reicht es aus, ein bisschen genauer zu lesen, was der Gegner so schreibt oder über sich schreiben lässt: Blicken wir nämlich nicht in die Pressemitteilung auf der Webseite des Deutschen Hochschulverbandes, sondern in die Darstellung der Resolution auf academics.de, die der aktuellen Ausgabe der Haus-Zeitschrift „Forschung & Lehre“ des Hochschulverbandes entnommen wurde und dem Hochschulverband eine Autorenschaft attribuiert, so finden wir unter Punkt 2, der mit „‚Political Correctness‘ und Konformitätszwang“ überschrieben ist, eine Beschreibung der „Political Correctness“ aus dem Duden zitiert: Diese sei, so definiert also der Duden, eine Einstellung, „die alle Ausdrucksweisen und Handlungen ablehnt, durch die jemand aufgrund seiner ethnischen Herkunft, seines Geschlechts, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, seiner körperlichen oder geistigen Behinderung oder sexuellen Neigung diskriminiert wird“. Freilich ist das nichts, dem irgendein wohlmeinender Mensch widersprechen würde, und so muss gleich klargestellt werden, dass sich diese Haltung größtenteils und in gleicher Weise aus ethischen, rechtlichen und religiösen „Wurzeln“ herleiten lasse, die überdies älter seien als die „Political Correctness“. Diese ist also anscheinend nur eine billige Kopie der weitaus älteren Quellen für anständiges Benehmen und die immense Toleranz gegenüber Frauen oder sexuellen Minderheiten seitens des Rechts oder der Religion sind offenbar so bekannt, dass sie dem Hochschulverband keines Kommentars wert sind. Die „Political Correctness“ lässt sich also mithilfe des Dudens definieren, der sie eine „Haltung“ nennt, wobei es in meiner Ausgabe des Duden heißt: „von einer bestimmten Öffentlichkeit als wichtig eingestufte Gesinnung, Haltung (die zum Ziel hat, alles zu vermeiden, was andere als diskriminierend empfinden könnten)“. Nun mag es verschiedene Auflagen des Dudens geben, nur leider gönnt uns der Deutsche Hochschulverband nicht den Luxus eines Quellennachweises. Das tut aber nichts zur Sache: Denn nachdem nachgewiesen wurde, dass es sich um eine Haltung handelt, die sich „in gleicher Weise“ aus weitaus älteren Quellen herleiten lässt, muss schnell ein Problem her, um den „studentischen Aktivisten“ ihre „selbst definierte ‚Political Correctness‘“ vorzuhalten: „In der Annahme einer engen Verbindung von Sprache, Denken und Handeln propagieren meinungsstarke Gruppierungen Sprachreglementierungen, mit denen der Gebrauch bestimmter Worte und Redewendungen geächtet und ‚Political Correctness‘ als Vehikel für die Durchsetzung politischer Interessen genutzt werden soll.“ – Übergehen wir die spannende Frage, wer wohl diese meinungsstarken Gruppierungen sein mögen, da sie doch offensichtlich nicht mit den Studierenden zusammenfallen und mindestens die Bösartigkeit der virulenten Homolobby erreichen dürften. Übersehen wir großzügig die Bemerkung, der Zusammenhang von Sprache und Denken beziehungsweise Denken und Handeln, sei bloß eine Annahme. Lassen wir auch das Faszinosum beiseite, dass die „studentischen Aktivisten“ die „Political Correctness“ selbst definiert haben, was ihr jede Legitimation entzieht, während der Duden sie als eine Haltung definiert, die irgendwie mit einer bestimmten Öffentlichkeit zu tun hat, während sie „in gleicher Weise“ sowieso viel älter sei, weswegen die Studierenden sowieso keinerlei Anspruch auf das haben, was sie selbst definiert haben. Es liegt aber wohl auf der Hand, was der Deutsche Hochschulverband mit der Sprachreglementierung und dem Ächten bestimmter Wörter und Redewendungen meint. Es ist tatsächlich an der Zeit, diese linksextreme Bedrohung ernst zu nehmen, den Tugendterror studentischer Aktivisten zu beenden und diese praktischer Arbeit zuzuführen, um diese Wucherung am deutschen Volkskörper endgültig loszuwerden. Schließlich wollen wir doch niemanden in seiner ideologischen Komfortzone stören. Und Wucherung, das sind doch sowieso immer die anderen.

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Erziehung zum altersgerechten Hass

Kennt Ihr schon die neuste wissenschaftliche Methode von ganz rechts außen? Natürlich tut Ihr das: mit den „alternativen Fakten“ kommt die „alternative Wissenschaft“ – da nämlich zu wenig ernsthafte Wissenschaftler_innen bei den grotesken Lügen der „Demo für alle“ mitmachen wollten, man also in den seriösen Institutionen der Wissenschaft mit dem nur mühsam verkleideten Hass nicht nachhaltig punkten konnte, musste man sich ein eigenes Symposium veranstalten. Nun ist die Methode, sich einfach eine eigene Institution zu basteln, damit man von Kritik nicht gestört wird, weil sowieso alle anderen doof… böse… pervers… gekauft… fremdgesteuert… moralisch verkommen… was auch immer sind, bekanntlich die wissenschaftlichste Methode schlechthin, also „schlechthin“ in der Faschosphére und angrenzenden rechten Paralleluniversen. Zur Reinhaltung der eigenen „wissenschaftlichen“ Position, also zur Abschirmung vor Kritik, ist es offenbar erforderlich, auch jenseits des „Sexualpädagogik-Symposiums“, das die rechtsextreme Bewegung „Demo für alle“ letztes Wochenende in Wiesbaden unter dem Deckmantel einer „wissenschaftlichen“ Auseinandersetzung inszeniert hat, jede Form von Kritik auf Facebook schnellstmöglich zu löschen. Da ich mich bisher zu wenig über deren pseudowissenschaftlichen Mist geäußert habe, dokumentiere ich nun meinen dortigen Kommentar, bevor er noch gelöscht wird, um den Untergang des Abendlands zu verhindern:¹

Als zur Wissenschaftstheorie forschender und gelegentlich lehrender Philosoph sei mir der Hinweis gestattet, dass Sie mit dieser Auffassung von „Wissenschaft“ bei mir keinen Schein kriegen würden. Etwas ist Wissenschaft, wenn es sich systematisch nach an Untersuchungsgegenständen methodisch gemachten Beobachtungen selbst korrigiert. Wenn es darum geht, die eigene Menschenfeindlichkeit in hübsche Sätze zu verpacken, ist es keine Wissenschaft. Zeigen Sie mir doch mal einen Fall, in dem Sie eine gegen lgbtiq-Menschen gerichtete Aussage aufgrund einer methodisch gemachten Beobachtung an lgbtiq-Menschen zu deren Gunsten revidiert haben. Was sind Ihre Methoden? Was sind Ihre Beweisstandards? Wo setzen Sie sich systematisch, methodisch und argumentativ mit Positionen auseinander, die nicht die Ihren sind? Wo ist auch nur das kleinste öffentliche „Darin haben wir uns geirrt!“? Wo ist überhaupt irgendeine „Hypothese“, die Sie erst angenommen und dann aufgegeben haben? Sie betreiben keine Wissenschaft, sondern Sie haben alles „von Anfang an“ gewusst und versuchen nun einem Cargo-Cult ähnlich Ihrer irrationalen Abneigung gegen Menschen, die nicht so sind wie Sie, ein seriöses Äußeres zu geben. Es ist aber „Wissen-schaft“, nicht „Recht-haben-wollen“. Und da ich weiß, dass auch Kollegen meines Fachs bei Ihnen herumspringen, sei ergänzt: Es ist „Philo-sophie“, nicht „Philo-doxie“ und schon gar nicht „Ortho-doxie“.

¹ Ich konnte quasi live dabei zusehen, wie Kommentare gelöscht wurden. Die Behauptungen, dass „Unbelehrbare“ (vermutlich: lgbtiq-Menschen) durch „moralischen Verfall“ „über 70 Hochkulturen“ durch „noch nie so viel []poppe[n], verhüte[n] und ab[trei]ben“ garniert mit „verharmlosender Demagogie“ zum „EXIT“[sic] getrieben hätten, während die „Sexualpädagogik der Vielfalt“ ein einem „päderastischen Milieu[]“ von „schwülen“ „Sexphantasien“ („Ein übles Milieu von dem sich Menschen distanzieren, die der Wissenschaft offen gegenüberstehen und die sich nicht erkenntnisresistent zeigen.“[sic]) basiere, sind freilich so hochwissenschaftlich, dass sie wohl stehenbleiben werden.

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Ich bin wirr

Kein Verständnis für Nazis (Symbolbild)

Ich schätze es ja durchaus, wenn in einer Diskussion geschickt und mit Witz von Ironie und Polemik Gebrauch gemacht wird. Leider teilen nicht alle diesen Geschmack, sondern einige gehen der verführerischen Rede vom besseren Argument vollkommen auf den Leim, da sie weder wissen, was ein Argument ist, noch wie Ironie oder Polemik funktionieren. Ganz besonders übel wird es aber, wenn diese in einem falsch verstandenen Meinungsfreiheitsgerede sich selbst vollkommen entpolitisieren und ihre daraus resultierende geistige Leere mit einer geradezu kleinbürgerlichen Gartenzaun-Moral kompensieren, die sie auf eine Mission schickt.

Nett zu Nazis: Wenn Du die Nazis nicht tolerierst und respektierst, wie kannst Du dann erwarten, dass sie Dich tolerieren und respektieren? Dass sie Dir nach dem Leben trachten, hast Du Dir selbst zuzuschreiben!

Auf dieser Mission scheinen sich einige Anhänger_innen der Facebook-Gruppe #ichbinhier zu befinden, womit sie sich – zumindest soweit mir ersichtlich – zum Werkzeug böswilliger Kreaturen machen lassen. Alle Fälle nämlich, in denen ich mit Vertreter_innen dieser Mission – gewissermaßen selbst ernannten Kreuzfahrer_innen der Moral – zu tun hatte, liefen darauf hinaus, dass nach einem scharfen, vielleicht sogar polemischen Kommentar gegen die blauen Faschisten ein Fan derselben eben jene Fußtruppe des freundlichen Austauschs auf den Plan rief, die sodann ausgiebig betonten, dass und wieso man bitte schön nett zu Nazis sein müsse. Wer aber glaubt, dass man nett zu Nazis sein müsse, hat meiner Ansicht nach jeden moralischen Kompass verloren und sollte sich was schämen. Ich habe daher für die Anhänger_innen, die immer hier sind, um Nazis zu verteidigen, eine neue Regel eingeführt: Ich blocke sie sofort.

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Surveillance Studies Publikationspreis 2017 für die „Spuren des Tötens“

Mein letztes Jahr zum Drohnenkrieg erschienener Artikel „Spuren des Tötens. Die List im Drohnenkrieg“ ist mit dem Surveillance Studies Publikationspreis 2017 ausgezeichnet worden. Der Preis ist dieses Jahr zweimal vergeben worden – neben mir noch an Max Gedig (München) für seinen noch unveröffentlichten Artikel „›Fighting an invisible man.‹ Infiltration and its Effects on the Black Panther Party“. Der ebenfalls vergebene Surveillance Studies Journalist_innenpreis ging an die Wiener Journalistin Sarah Kriesche für ihre Hörfunk-Reportage „Zeitreise Überwachung“ [Link]. Sowohl Sarah Kriesche als auch Max Gedig haben den Blick der Historiker_in gewählt, der für das Problem der Überwachung, das allzu oft noch immer als eine ›zukünftige Dystopie‹ erscheint, viel zu selten eingenommen wird.

Ich selbst lobe mich natürlich nicht, sondern lasse Euch selbst lesen, was ich da verbrochen habe:

  • Denker, Kai: „Spuren des Tötens. Die List im Drohnenkrieg“ Jahrbuch für Technikphilosophie 2 (2016), S. 123–145. [PDF] [Link]
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Das böse Spiegel-Universum aus Star Trek

Ich sehe mich dazu veranlasst, die neue US-Regierung und ihren Pressesprecher in Schutz zu nehmen. Es gibt nämlich sehr wohl Bedingungen, unter denen es möglich ist, sinnvoll von alternativen Fakten zu sprechen. Die Kritik, die darauf zielt, dass Fakten sich auf die Realität beziehen, also wahre Sachverhalte zwischen dieser und der Sprache vermitteln, ist vollkommen richtig. Die Annahme, dass es aber nur eine Realität gibt, muss zusätzlich getroffen werden. Lässt man diese Annahme weg, erhält man grob gesprochen zwei Möglichkeiten: Erstens ist es denkbar, dass jeder Mensch sich eine eigene Realität konstruiert, was auf eine radikal konstruktivistische Position hinauslaufen würde und jede Verständigung mit anderen Menschen auch über die einfachsten Sachverhalte zu einem völligen Rätsel machen würde. Zweitens ist es denkbar, dass der Pressesprecher und die Regierungsberaterin, die sich auf alternative Fakten beziehen, auf eine gemeinsame zweite Realität beziehen, die neben der Realität, die anscheinend von allen anderen geteilt wird, besteht.

Es bietet sich vielleicht an, einmal diese zweite Möglichkeit zu verfolgen, da sie es uns erspart, den gemeinsamen Handlungs- und Lebensraum der Menschen mittels einer komplexen Theorie wiederherzustellen oder aber die genannten Sprecher_innen kurzerhand für verrückt zu erklären. Angesichts der modernen Physik und der unzähligen Science-Fiction-Geschichten fällt es uns nicht mehr schwer, an die Existenz alternativer Realitäten zu glauben. Tatsächlich liegt eine solche Vorstellung einer alternativen Realität bereits zumindest teilweise ausgearbeitet vor: Es ist das böse Spiegel-Universum aus Star Trek. In diesem Universum kommt es bekanntlich nicht zur Gründung der Föderation der Planeten, sondern ein von der Erde ausgehendes Imperium integriert andere Spezies als Sklaven in seine Gesellschaft. In den Geschichten treten die uns vertrauten Charaktere auf, aber stets unter anderen Vorzeichen, sodass böse erscheint, wer in unserem eigenen Universum als gut erscheint, womit die Science-Fiction-Geschichte sich die Möglichkeit eröffnet, eine Lust am Bösen zu inszenieren und die Voraussetzungen des eigenen Gut-Seins zu reflektieren. Sind die Charaktere aus Star Trek, wie sie regulär auftreten, an eine aus unserer Sicht positive Moral gebunden, inszenieren die Charaktere aus dem Spiegel-Universum eine Anti-Moral, sind also nicht einfach amoralisch oder unmoralisch, sondern alternativ-moralisch. Uns braucht bei dieser Perspektive nicht schwindelig zu werden, solange wir uns darauf beschränken, zu verstehen, dass derjenige, der von alternativen Fakten spricht, auch von einer alternativen Moral sprechen muss.

Natürlich tut auch dies hier nichts zur Sache, denn die eigentliche Folgerung, zu der uns der Verweis auf die Science-Fiction zwingt, ist, dass die gesamte US-Administration sich leicht als Versuch einer Invasion durch das böse Spiegel-Universum verstehen lässt. Nicht ohne Grund inszeniert Star Trek gerne alternative Realitäten oder fremde Welten oder manipulierte Vergangenheiten, in denen der Faschismus nicht besiegt wurde. Die genannte Folgerung hilft uns vielleicht auch dabei, zu erklären, wie wir in dieses Fiasko hineingeraten konnten.

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Alte Bekannte und griechische Kommunisten

Nach einigen Gesprächen mit „alten Bekannten“, die heute den Dreck aus der blaubraunen Jauchegrube nachlabern, bin ich zu der Auffassung gelangt, dass der Aufstieg faschistischer Kräfte in diesem Land viel mehr noch als bloß eine Krise des linken Denkens eine Krise des „liberal-konservativen Denkens“ ist. Was früher eine Strömung war, die große Staatsmänner/-frauen hervorbrachte, die langfristig und vor allem politisch denken konnten, denen historische Dimensionen und Politikfelder jenseits der Fiskalpolitik bekannt waren, ist zu einem grotesk simplifizierten Kaufmannsdenken degeneriert, das sich anschickt, sogar noch die Sicherheitspolitik nach ihrem „return of invest“ zu befragen. Es ist auch denen, die ich als „klug“ in Erinnerung hatte, kein einziges Argument mehr zu entlocken. Wann immer man sie an irgendeiner Stelle festzunageln droht, kommt eine Parole wie „die sind nicht integrierbar, die vermehren sich wie die Karnickel“ oder „Du willst also für Griechenland zahlen, damit dort die Kommunisten überleben.“

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Argumentative Rotation

A: „<offensichtliche Falschbehauptung>“
B: „Moment, $Argument1“
C: „Aber, $Argument2“
B: „Nein, weil $Argument3“
A: „<argumentum ad vericundiam>“
B: „Quelle? $Quelle1 sagt das Gegenteil.“
C: „Hm, B, stimmt, aber doch auch $Argument4“
B: „Sehr richtig, aber weil $Argument5 nicht anwendbar, sondern $Argument6“.
C: „Oh, ja, stimmt.“
A: „Ich finde, wir drehen uns total im Kreis!“
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Fakten sind nackt. Sie sind keine Ideen

Der kindliche Glaube an die Macht des Fakts (des wahren Sachverhalts) ist tief in dem verwurzelt, was wir ‚Denken‘ und ‚Vernunft‘ nennen. Kritik daran wird gerne mit dem Vorwurf beantwortet, man verabschiede sich in den Bereich jenseits der Fakten und in die Paranoia oder gar in die Irrationalität. Umgekehrt hat es nicht wenige überaus vernünftige Versuche gegeben, das gesamte menschliche Wissen inklusive der Mathematik und der Philosophie logisch auf Protokollsätze, die gewissermaßen die primitivste Repräsentation eines Faktums sind, zurückzuführen. Diese Versuche scheiterten allesamt und zwar aus einer Vielzahl von Gründen. Neben der grotesken Komplexität einer solchen ‚logischen Modellierung‘ und deren zahlreichen Uneindeutigkeit bei der Wahl der niedrigsten (atomaren, nicht weiter analysierbaren etc.) Begriffe, ist insbesondere das Induktionsproblem zu nennen: Es ist unmöglich, logisch zwingend von einer noch so großen Zahl von Protokollsätzen zu einer allgemeinen Regel zu gelangen. Die falsifikationistische ‚Lösung‘, die Theorien zum Gegenstand eines geschickten Ratens zu machen, dann aber von ihnen die Bewährung zu verlangen (eine Theorie ist solange nicht widerlegt, wie sie mit allen Protokollsätzen verträglich ist), ist bekannt. Schon etwas weniger bekannt, sind die zahlreichen Probleme, die sich noch immer an diese ‚Lösung‘ anschließen: fehlende Robustheit und Fehler bei der Ermittlung von Protokollsätzen, ad-hoc-Argumente, Kriterien zum ‚Raten‘ der passenden Theorien, konkurrierende Theorien über verschiedene Bereiche von Protokollsätzen, … und natürlich das Subsumtionsproblem: Die Interpretation der in den Sätzen der Theorie vorkommenden Gegenstände als Gegenstände der Protokollsätze (sofern wir das parallele Problem beim Bezug der Gegenstände der Protokollsätze zu den Gegenständen des Handlungsfeldes einmal übersehen wollen).

Es scheint, dass die Ebene der Theorie und die Ebene der Fakten nicht streng logisch verbindbar ist – weder vom Konkreten zum Allgemeinen hin, noch umgekehrt vom Allgemeinen zum Konkreten. In der einen Richtung erhalten wir nur Wahrscheinlichkeiten (was sich ebenfalls modellieren lässt und auch zahlreiche Probleme nach sich zieht). Und in der anderen Richtung haben wir einen Auslegungsregress, da wir offenbar Regeln brauchen, um die Anwendung von Regeln anzuleiten: Es wäre im schlechten Sinne metaphysisch eine dem Empirischen entzogene Menge von Auslegungsregeln für Sätze von Theorien zu postulieren. Das hier angedeutete Problem des Regelfolgens, das auch für die Subsumtion einschlägig ist, geht noch über die hier gemachten Andeutungen hinaus, etwa was die eindeutige Kommunikation über Regeln angeht. Man braucht keine poststrukturalistische oder postmoderne Philosophie, um diese Probleme zu entdecken. Die analytische Philosophie reicht völlig aus.

Für die Themen, die uns dieser Tage, in denen sich die Fratze des Faschismus erneut zeigt, besonders interessieren, steckt hier eine Erkenntnis: Es wurde vorgeschlagen, man solle dem Populismus der Rechten, die man sich noch immer nicht Faschisten zu nennen traut, mit Fakten und kühler Sachlichkeit entgegnen. Dass die Widerlegung der postfaktischen Unwahrheit scheitert, da es sich um ‚Parolen‘ handelt, hatte ich schon untersucht. Umgekehrt stellt sich die Frage, was mit der Konzentration auf Fakten, wenn schon nicht gegen die anderen, doch für die eigene Sache gewonnen ist. Welche positive Alternative wird den Faschisten entgegengestellt?

Wie aus der Versammlung von Protokollsätzen keine wissenschaftliche Theorie folgt, so wenig folgt aus der Versammlung von Fakten (über das Sozialsystem, über die Flüchtlingspolitik, über die Renten- und Arbeitsmarkt, über die Wirtschafts- oder Familienpolitik) irgendetwas über Möglichkeiten und Ziele. Fakten per se sind nackt. Sie sind Gegenstand von Interpretationen und bar jeden Ziels. Ich erinnere mich an eine Talkshow, die schon etwas zurückliegt, in der die Bedeutung des Schutzes bedrohter Tierarten und deren Verhältnis zu wirtschaftlichen Interessen verhandelt wurden. Ein Diskutant vom Typ ‚neoliberaler Yuppie‘, die damals noch völlig unironisch auftreten konnten, warf der empörten Runde entgegen: „Die Frage ist doch eigentlich, wie viel Biodiversität wir brauchen!“ Es geht weniger um die möglichen mehr oder weniger klugen Antworten auf diesen Einwurf, sondern um die Empörung, von einem solchen Beitrag so kalt erwischt worden zu sein: Selbst aus der eindeutigsten Feststellung, irgendeine Maßnahme führe sicher zum Aussterben irgendeiner Spezies, folgt ohne Weiteres nicht, dass das Aussterben der Spezies verhindert werden sollte. (Das Problem des Bestandserhalts für Pockenviren.)

Es ist offenbar: Fakten (und seien sie noch so eindeutig) liefern ohne Weiteres keine Ziele. Wieso sollten wir Altersarmut bekämpfen? Ist dem eher formalen Sozialstaatsprinzip nicht durch die Grundsicherung bereits Genüge getan? Nein, wieso nicht? Wo steht das? Ist es eine verfassungsrechtliche Vorgabe? Wenn ja, wieso klagen betroffene nicht in Karlsruhe? Oder ist es Deine politische Position? Aber woher kommt sie dann? (Jede, die jetzt ‚Menschenwürde‘ gedacht hat, schreibt jetzt bitte vier Seiten den Satz: „Ich soll dasselbe Problem nicht mit anderen Worten noch einmal aussprechen und mir einbilden, irgendetwas sinnvolles gesagt zu haben.“) Genauso stellt sich das Problem für die Sätze, man sollte Altersarmut gar nicht bekämpfen. Für den Satz, dass es gar keine Altersarmut gäbe, gilt das über ‚Parolen‘ Gesagte. Was die Rede von der Sachlichkeit und den Fakten ausblendet, ist der Bedarf an (politischen) Ideen.

Ideen gehen noch einen Schritt weiter als die Bildung von Theorien, das Problem ist aber verwandt: Fakten bringen keine Theorie hervor, weil sie keine Interpretationen vorgeben. Regeln legen Handlungen nicht fest, wenn es nicht weitere Regeln gibt, die die Regeln auslegen (ein Regress, der nur durch eine gewisse Willkür zum Ende kommt). Und Interpretationen geben keine Ziele vor, an denen Handlungszwecke ausgerichtet werden können. (Das immer ein ‚weiteres‘ fehlt, ist Folge einer bestimmten Struktur unserer Begriffsvorstellung, über die ich ein anderes Mal schreiben muss.) Es muss etwa hinzukommen, das die Handlungszwecke ausrichtet, Ziele markiert, Interpretationen auswählt, das Ende des Regresses setzt. Man kann es meinetwegen eine (hier: politische) Vision nennen, auch wenn dieser Begriff unpräzise ist, da er wieder nicht weit genug geht und das ‚Ende‘ nicht markieren kann – zumal die Diagnose, diese oder jene Bewegung lasse ein gemeinsames Ziel oder eine gemeinsame Vision vermissen, nicht zu deren Ende beigetragen hat. Man spricht gerne von ‚Sammlungsbewegungen‘ und überredet sich, diese müssten letztlich doch irgendein gemeinsames Ziel haben, da man sich nicht vorstellen mag, eine Bewegung könnte ohne eine solche auskommen. (Daher auch die Fiktion, dass jede noch so heterogene Gruppe eine homogene Agenda haben müsse.) Hier liegt ein tückischer Moment, der leicht mit einem Argument gegen meine Position verwechselt werden könnte: Ich sage nicht, dass es nicht wahrscheinlich ist, dass eine heterogene Bewegung ein gemeinsames Ziel findet. Der Punkt ist, dass wir uns nicht einbilden sollten, das Ziel sei, auch wenn es erst später formuliert wurde, schon immer versteckt gewesen und trete nun erst an die Oberfläche. Ziele können ‚neu‘ sein, die Gruppen, die sich ihnen verschreiben, aber alt.

Wie soll der gemeinsame ‚Punkt‘ beschrieben werden? Man könnte vielleicht von Resonanz sprechen: Der ‚Punkt‘ markiert eine imaginäre Stelle, auf die alles hinaus läuft. Er markiert das Ideal einer gemeinsamen Resonanz, die zu einer verteilten Entsprechung führt. Man darf diesen Punkt nicht mit einer gemeinsamen, einheitlichen, eindeutigen Meinung oder Weltsicht verwechseln. Er ist eher eine Idee, ein regulatives Moment. Der Faschismus gewinnt seine Macht aus der Resonanz von Vernichtungsideen, die Interpretationen ausrichten und Handlungen anleiten, ohne alles einem Verwaltungsapparat unterstellen zu müssen. Faschismus und Dezentralität sind gut miteinander verträglich. „Man muss dem Führer entgegen arbeiten“, ist nicht ohne Grund ein(!) Credo des Nationalsozialismus gewesen. Auch für die AfD geht es mehr als um nur einen Flirt mit Vernichtungsphantasien auf glitschigen Computermäusen. Die immer eindeutigeren Referenzen der AfD auf nationalsozialistische Politikvorstellungen, etwa in Form der deutschen Frau als Gebärmaschine mit Verfassungsrang, sind weder fehlendes Gespür, noch Zufall. Sie müssen aber noch nicht einmal Absicht sein, auch wenn es aufgrund der Geschwindigkeit, mit der sich die AfD in den letzten Jahren radikalisiert hat, geplant sein könnte. Es reicht aus, dass die vielen kleinen faschistischen Ideen miteinander in Resonanz geraten, um den großen Faschismus wieder zu erwecken.

Gemeinsame Resonanz ist kein Zeichen faschistischer Politik. Gemeinsame Resonanz kann auch Teil einer emanzipatorischen Politik sein. Sie muss es sein, wenn die Linke dem Faschismus etwas entgegen setzen will.

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Böser Poststrukturalismus! Aus! Böse!

Die Zahl der Analysen zu einem Thema und die mittlere Tiefe dieser Analysen verhalten sich bekanntlich indirekt proportional zueinander. Derzeit häufen sich die Analysen der Schuldfrage: Wer ist Schuld an… ihr wisst schon wem. Einige Analyst_innen haben sich dabei nicht entblödet, dem postmodernen oder poststrukturalistischen Denken die Schuld zuzuweisen, da dieses doch für die Postfaktizität verantwortlich zeichneten. Sie hätten schließlich die Handlungsdimension der Worte freigelegt. Zitieren wir einen entsprechenden Blödsinn. In ZEIT ONLINE ‚entlarvt‘ Felix Stephan den theoretischen Unterbau der kulturellen Dominanz der ‚Liberalen‘ in den USA:

„Diese Revolution wurde von den Theoretikern der Postmoderne begleitet. Sie saßen in Paris, Princeton und Berkeley, und sie postulierten, dass Wirklichkeit durch Sprache hergestellt wird, dass die Antwort immer von der Frage abhängt, dass politische Verhältnisse verändert werden können, indem man andere von ihnen sprechen lässt. Die gesellschaftliche Ordnung, die Sprache, die Weltanschauung, die ihre Eltern für Naturgesetze hielten, all das war künstlich und gebaut, und das bedeutete wiederum, dass man es umbauen konnte.“ [Stephan: „Mit den Waffen seiner Gegner“, ZEIT ONLINE, 10. November 2016, abgerufen am 12. November 2016]

Triumphierend setzt er fort: „Jetzt ist der Bumerang allem Anschein nach zurückgekommen.“ – Nun würde ich den uralten Zusammenhang von Frage und Antwort nicht in der Postmoderne verorten, sofern diese nicht schon im antiken Griechenland oder vermutlich noch früher angefangen haben soll. Das gleiche gilt für die Vorstellung, man ändere politische Verhältnisse durch die Beteiligung von bisher unbeteiligten Sprecher_innen, die auch so alt ist, dass spätestens hier klar sein sollte, dass Stephan einen Strohmann konstruiert. Was bliebe, wäre dann vielleicht noch das ‚Postulat‘, dass die Wirklichkeit durch Sprache ‚hergestellt‘ wird, was ebenso ein Strohmann ist, wie man an dem fabelhaften Was heißt ‚soziale Konstruktion‘? von Ian Hacking nachvollziehen kann, in dem Hacking wissenschaftlichen Realismus und postmoderne Realismuskritik gleichermaßen aufs Korn nimmt und letztlich auch nur wieder an die Differenz einer Entität, die immer nur in irgendeiner Form ‚gegeben‘ ist, und ihrer begrifflichen Fassung erinnert. Auch die Feststellung, dass (mutmaßliche) Entität, ihr Gegebensein und ihre begriffliche Fassung nicht von vornherein und schon gar nicht sicher wissbar zusammenfallen, ist alt, sehr alt. Älter als Hacking, älter als die Postmoderne, älter als Kant und älter als Descartes sowieso. Die Handlungsdimension von Sprache, also jenseits des erkenntnistheoretischen Problems, ist auch lange bekannt und sie war es auch lange, bevor beispielsweise Austin und Searle, die ich ja nicht so recht unter die Postmoderne zählen würde, überlegten, wie man mit Worten handelt. Urteile wurden auch in der Antike schon gesprochen.

Okay, Stephan setzt uns also einen qualitätsjournalistischen Strohmann vor. Das ist einigermaßen langweilig, schließlich besteht er in den üblichen Dummheiten, die sich heute als Analysen ausgeben. Interessant ist daran aber eine weitere Dummheit, die daher ein bisschen Polemik verdient: Es ist der Bumerang, der nun „allem Anschein nach“ zurückgekommen ist und die ‚Postulate‘ der Postmoderne gegen die Fans der Postmoderne selbst richtet. Es ist die Dummheit, aus der (schon eher: postmodernen) Kritik an der Wissenschaft, dass diese immer auch politisch sei, die Idee zu machen, dass Wissenschaft stets nur politisch sei. Als ob Foucault, Deleuze, Althusser und all die anderen diese ‚Postulate‘ nur aufgestellt hätten, um einen politischen Kampf zu führen. Mal davon ab, dass Stephan vermutlich nicht weiß, was ein ‚Postulat‘ ist, muss jeder, die auch nur für fünf Minuten in einem Einführungsseminar in der Philosophie nicht geschlafen hat, auffallen, dass diese ‚Postulate‘ und aus ihr abgeleitete Handlungsideen nur dann eine Wirkung haben können, wenn sie in irgendeiner Weise zur Wirklichkeit passen. So wenig wie die Gendertheorie arme kleine Nazis in ihrer Männlichkeit auch nur ansatzweise verwirren könnte, wenn die menschliche Geschlechtlichkeit wirklich so primitiv wäre, wie die AfD-Sprallos behaupten, so wenig kann das ‚Postulat‘, die Wirklichkeit werde durch Sprache verändert, genau die Mittel bereit stellen, mit denen die Wirklichkeit durch Sprache verändert wurde.

Nun steckt hier noch immer ein Fehler: Es ist die Vorstellung, diese Mittel seien durch diese ‚Postulate‘ erfunden worden. Ähm, nein. Die Wahlkämpfe der NSDAP in den frühen 1930er Jahren gelten in vieler Hinsicht als ‚modern‘ (Goebbels als früher Spin-Doctor, der Domizlaffs Propagandamittel der Staatsidee genau studiert hatte [1]) und sie bedienten sich bereits dieser Mittel. Die Mittel sind alt und sogar älter als die Nazis, die lediglich durch technische Entwicklungen den Einsatz der Mittel beschleunigen und ausweiten konnten.

Was ist postmoderne Theoriebildung getan hat, also das Verbrechen, dessen sie sich schuldig gemacht hat, ist dieses: Sie hat diese Mittel, ihren Einsatz, ihre Möglichkeiten analysiert, sie vielleicht auch verfeinert und versucht, aus ihnen Mittel zu gewinnen, die auch für die Emanzipation der Marginalisierten geeignet sind. Sie hat also getan, was vielen als Aufgabe der Wissenschaft gilt: Einen Untersuchungsgegenstand bestimmt, eine Methode entwickelt, eine Untersuchung durchgeführt, die Ergebnisse aufgeschrieben und sie popularisiert, so dass (nicht unbedingt: damit) sie die Identifikation und den Einsatz von Mitteln für Zwecke anleiten können.

Wenn die Theoretiker der Postmoderne damit Schuld auf sich geladen haben, so auch Newton: Ich bin letztes Jahr mit dem Fahrrad gestürzt und habe mir die rechte Hand gebrochen. Ohne Gravitationstheorie wäre das gewiss nicht passiert, Herr Stephan.

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